juni-juli 2003

gelesen

Bücher

Nick Hornby

31 Songs

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.

Der Londoner Nick Hornby befasst sich in seinen Texten mit den essentiellen Dingen des Lebens: Fußball, Frauen (bzw. der Liebe zu ihnen) und in diesem schmalen Büchlein mit der Popmusik. Der Autor nimmt bevorzugt die Fanperspektive ein, egal ob es sich wie in „Ballfieber“ um Arsenal oder um seine 31 Lieblingslieder handelt. „Warum gerade 31?“, werden manche von ihnen fragen. Ich kann sie beruhigen. Es geht nicht um geheime Botschaften, sondern um eine willkürliche Zahl, die, da sie – die Zahl – keine gerade ist, auf diesen Umstand der Zufälligkeit aufmerksam machen will. Dave Marsh schrieb vor Jahren über 1001 Singles, „Zündfunk“-Redakteur Karl Bruckmaier über die 101 wichtigsten Platten. Hornbys Liste beansprucht auch keinen unveränderbaren Ewigkeitsstatus. Schließlich nannte er bei einer Umfrage, die das Musikmagazin MOJO knapp nach Erscheinen des Buches veröffentlichte, seine Top Ten-Singles: darunter nur ein Stück (Ian Durys „Reasons To Be Cheerful – Part 3“), das auch in „31 Songs“ behandelt wird!

Pop als „Wegwerfprodukt“, als sich immer änderndes und regenerierendes Phänomen, ist ein wichtiges Thema der klugen, von feiner englischer Ironie gestützten Betrachtungen. Hornby will keinen endgültigen Kanon aufstellen, sondern eine Momentaufnahme präsentieren, die in sehr persönlicher Weise – wenn es etwa um den behinderten Sohn geht – sein Leben mit Popmusik beschreibt. Spezielle Rezeptionsbedingungen, der Wert von Krach, die Folgen einer von Hard-Rock geprägten Jugend, um nur einige Stichwörter zu nennen, deren Lektüre vor allem eines belegt: Dem Autor ist eine Hommage an eine ewig währende Liebe gelungen – ergreifend und gänzlich ohne theoretische Pseudo-Hipness. Das „Aufladen“ der Songs mit modischen Interpretationen, in denen sich die vermeintlich avantgardistischen, in Wahrheit oft bloß esoterischen Gedanken der Pop-Linken widerspiegeln, vermeidet Hornby auf vorbildhafte Weise.

Doc Holliday

Paula-Irene Villa

Judith Butler

Campus, Frankfurt, New York 2003.

Als die US-amerikanische Theoretikerin Judith Butler 1990 ihr Buch „Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity“ (dt. „Das Unbehagen der Geschlechter“, 1991) veröffentlichte wurde damit nicht nur der „linguistic turn“ in der Frauen- und Geschlechter/Gender-Forschung (also die vermehrte Konzentration auf Sprache/den Diskurs als Modus der Konstruktion sozialer Realität) vollzogen. Er brach, vor allem in Deutschland, gleich auch ein äußert heftig geführter Streit bezüglich Butlers Überlegungen und Thesen u.a. zur „Zwangsheterosexualität“ und „Queer Theory“ (also jener, jenseits von Hetero, Homo/Lesbisch, Bi angesiedelten polymorphen Sexualität) aus. Wobei die Vorwürfe zwischen (postmodernem) „anything goes“-Lifestyle über „lesbian chique“ bis hin zum schlicht vernichtenden „höchst oberflächlich und ärgerlich“ reichten. Was war passiert? Auf diese und andere Fragen gibt nun die deutsche Soziologin und Geschlechterforscherin Paula-Irene Villa in ihrer „Judith-Butler-Einführung“ äußerst präzise Antwort. Was umso erfreulicher ist, da sich Butlers Werk nicht nur durch extrem komplexe und verschlungene Gedankengänge, sondern auch durch eine ebensolche Sprache auszeichnet. Villa entknotet hingegen den Butler-Diskurs zuerst, um ihn anhand spezifischer Themenstellungen weiterzuspinnen. Es geht also quer durch „Diskurstheorie, Subjekttheorie, feministische Theorie als kritische Analyse der Geschlechterdifferenz, damit verbundene Fragen von Materialität, Körper und Sexualität sowie schließlich politische Fragestellungen.“

Ohne komplizierte Komplexitäten gegen allzu simple Vereinfachungen auszuspielen, erklärt Villa nachvollziehbar Butlers Thesen zur „diskursiven Performativität“ wie zu „intelligiblen Geschlechtern“ (also solchen, die sozial [für den Mainstream] anerkannt, sinnvoll, verstehbar sind). Wobei speziell auch auf Missverständnisse und Problematiken innerhalb der deutschsprachigen Butler-Rezeption eingegangen wird. Etwa wenn Butler als Kritikerin von „Identity Politics“ (jener politischen Praxis, die auf Grund von sozialen Identitäten wie „schwul“, „Frau“, „Jüdin“ agiert) auftritt oder wenn sie die für sie immer noch „biologistisch“ geerdete Unterscheidung zwischen „sex“ (das anatomische/biologische Geschlecht) und „gender“ (die [soziale] Geschlechteridentität) als jeweils konstruierte „angeblich natürliche Sachverhalte des Geschlechts“ bezeichnet und dabei stichhaltig „sex“/das biologische Geschlecht als „diskursive Naturalisierung“ bzw. „materialisierte Geschichte“ (etwa durch chirurgische Eingriffe bei Zwittern/Hermaphroditen) definiert.

Der ideale Einstieg für alle, die mit Butler „zur Geschlechter-Verwirrung anstiften“ wollen! Queer Me!

Didi Neidhart