juni-juli 2003

Max Santner
leitartikel

Ferntourismus in Ländern des Südens – Cui bono?

„Wir zerstören das, wonach wir suchen, indem wir es finden ...“ (H. M. Enzensberger)

In Zeiten des globalen Dorfes sind uns die fernsten Regionen sehr nahe gerückt. Von einer Wüstensafari mit modernsten Geländeautos bis hin zu einer Mt.-Everest-Expedition ist fast jeder Winkel unseres Planeten pauschal zu buchen. Ferntourismus in Ländern der „Dritten Welt“ ist eine irreversible Tatsache. Einerseits steht uns mehr Freizeit denn je zur Verfügung, andererseits lassen es Einkommenssteigerungen zu, dass viel Geld für Reisen ausgegeben werden kann. Kulturelle Neugierde, Sehnsucht nach der Ferne, Selbstbestätigung, Prestigedenken, Erholung und Abenteuerlust sind die Ingredienzien der persönlichen Motivmixturen für Fernreisen – Egoismus in der einen oder anderen Form. Die Folgen sind bekannt: Irreversibel und augenscheinlich, bewusst und unbewusst. Millionen befriedigen ihre Sehnsuchtsbedürfnisse, Tausende, Hundertausende leben davon. Tourismus verändert die Naturlandschaften und beeinflusst die Kultur und Sozialstruktur der Bereisten. Im Zillertal und am Fuße des Olymp genauso wie in Ostafrika oder in Jurten am Rande der Wüste Gobi.

Die Wechselwirkungen zwischen Reisenden und Bereisten sind komplex und vielschichtig. Sowohl der einzelne Reisende als auch die professionellen Veranstalter sind gefordert. Die Verantwortung gegenüber den Natur- und Kulturlandschaften sowie den Bereisten ist hoch. Und die Forderung an die verantwortlichen Politiker und Tourismusmanager ist eine schwierige: Unter Berücksichtigung aller Beteiligten einen Konsens zu schaffen zwischen wirtschaftlicher Ergiebigkeit, sozio-kulturellen Bedürfnissen und intakter Umwelt. Angelpunkte des globalen Tourismus sind die Faktoren Zeit und Geld. In der vorgegebenen Urlaubszeit soll ein maximales Erleben, eine maximale Befriedigung der Urlaubsbedürfnisse gewährleistet sein, und die Geldbörse gibt den Rahmenvor: individuell mit dem Rucksack oder pauschal in den All-Inclusive-Club. Allerdings: Während für die Reisegestaltung sehr wohl der Reiseveranstalter zuständig ist, ist für die Begegnung mit den Menschen schlussendlich jeder Einzelne verantwortlich: Eine optimale Vorbereitung sollte ganz einfach die Pflicht jedes potentiellen Fernreisenden sein: Neben körperlicher Fitness, ausreichendem Wissen um die medizinischen Aspekte in den Ländern des Südens und guter Ausrüstung gehören auch Selbstverständlichkeiten wie umfassende Landesinformation, Höflichkeit, Geduld und Toleranz ins Gepäck. Nicht restkoloniales Besserwissen, sondern Demut und Bescheidenheit – nicht Spaghettiträger, sondern züchtig bedeckter Oberkörper.

Vergessen wir schließend nicht – neben allgemein gültigen Urlaubsheimbringsel wie Erholung (möglich) und Horizonterweiterung (hoffentlich) – einen ganz anderen Aspekt, den uns eine Reise in ein Land der „Dritten Welt“ bescheren kann: Ein Überdenken, ein Neuordnen unserer Bedürfnisse.

Ist es tatsächlich notwendig einen übervollen Kleiderschrank mit siebzehn verschiedenen Anzügen sein eigen zu nennen, im Badezimmer eine Unzahl von offensichtlich optimal beworbenen Wässerchen und Cremen aufzubewahren oder im Supermarktregal über dreißig Meter Länge 79 (!) verschiedene Katzenfuttermittel zu zählen? – Sicherlich, um hier ein wenig stutzig zu werden, müsste ich keine einsame Wanderung durch Ladakh hinter mir haben ...

Max Santner lebt in Linz und ist Geschäftsführer der Alpinschule „Bergspechte“