juni-juli 2003

Thomas Neuhold
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Urlaub in einer globalisierten Welt

Tourismus als Spiegel ökonomischer Entwicklungen und ein Plädoyer für das aufgeklärte Reisen

Einen Reisenden dürfe man nicht aufhalten, sagt der Volksmund sinngemäß. Nur, was heißt schon Reisen? Schon mit der Vielschichtigkeit des Begriffes beginnt das Problem: Geschäfts- oder Abenteuerreisen? Nepal-Expedition, Sommerfrische im Salzkammergut oder mit der quengelnden Brut „all inclusive“ in einen Retortenclub? Mit dem Vögeljet nach Fernost oder wie Massen unförmiger US-Amerikaner „Europe in five days“? Oder einfach als „rotkariertes Wanderschwein“ (copyright: „profil“) in den Niederen Tauern von Almhütte zu Almhütte wandern?

Noch einmal, nur anders gedacht: Was heißt schon Reisen? Kilometerlange Staus auf den Autobahnen, Flughafenhektik und Jetlag? Verdreckte Strände, zertrampelte Kulturen und permanent Missachtung lokaler Sitten und Gebräuche durch weißhäutige KulturimperialistInnen? Oder auch Umverteilung zwischen dem meist reicheren Norden und dem oft ärmeren Süden? Wirtschafts- und Lebensader ganzer Regionen? Tourismus als Industrie, die im Vergleich zu anderen Branchen wenigstens nicht raucht und stinkt?

Sozialer Wandel

Schränken wir einmal ein: Wenn wir von Fremdenverkehr, Tourismus, Reisen, Urlaub sprechen, meinen wir, dass Millionen von Menschen aus den reicheren Industrieländern mindestens einmal jährlich einen Tapetenwechsel vollziehen. Dies hat vor allem eine Funktion: „Die schönste Zeit im Jahr“ dient im Kern zur Wiederherstellung der eigenen Arbeitskraft. Schließlich sollen ja die nächsten Monate Arbeitsalltag wieder einigermaßen über die Runden gebracht werden. Dabei ist es ziemlich egal, ob man seine Akkus am liebsten in den Bergen, am Strand dösend oder beim Kulturtrip durch Städte auftankt.

Was man sich zur Reproduktion der Arbeitskraft leisten kann, aber auch nach welchen gesellschaftlichen Werten der Urlaub „als angenehm, als erholsam, als erfolgreich“ empfunden wird, entsprach und entspricht haargenau den jeweiligen ökonomischen, sozialen und technologischen Entwicklungen. Ein Beispiel von vielen: Der „Touristenverein Naturfreunde“ – wie die Naturfreunde eigentlich heißen – erlebte in Österreich seine erste politisch-organisatorische Hochblüte in Folge der Proletarisierung breiter Massen. Das kollektive Reisen – wenn auch noch in vergleichsweise bescheidenen geographischen Radien – war die „Antwort“ der organisierten ArbeiterInnenschaft auf den boomenden bürgerlichen Tourismus.

Seitenverkehrt gilt das natürlich auch für die Bereisten und ihre Region. Gerade in Salzburg ist dies deutlich nachvollziehbar. Noch Anfang des 19.Jahrhunderts bezeichnete Franz Grillparzer die Mozartstadt wenig charmant als „Ratzenstadel“. Mit dem Beginn des bürgerlichen Städtetourismus, als 1842 das Mozartdenkmal enthüllt wurde, sollte sich das rasch ändern. Der Einfluss des großbürgerlich-adeligen Fremdenverkehrs wurde derart stark, dass für die Gäste sogar neue Speisen kreiert wurden: Aus den ursprünglichen „Brandteignockerln in Eiersauce“ entstand das „Pfannenomelette mit Eierguss“ und schließlich das „Omelette Soufflé'“ – besser bekannt als „Salzburger Nockerl“. Heute steht allein die Landeshauptstadt bei

6,8 Millionen Jahresbesuchern mit rund 1,7 Millionen Nächtigungen und einem Umsatz von 360 Millionen Euro. Damit spielt unsere Heimat als Reisedestination in der Oberliga des globalisierten Tourismus. So wie der bürgerliche Tourismus einst von Wien aus das Salzkammergut als Sommerfrische entdeckt hatte, die Invasion von Deutschen und Österreichern in Norditalien ab den 50er Jahren einherging mit steigendem Lebensstandard und der Bildung europäischer Märkte, erleben wir im globalen Dorf eben jetzt den Trip in die Karibik ebenso als Selbstverständlichkeit wie die Horden Nordamerikaner und Japaner in Salzburg.

Die damit einhergehenden ökologischen Probleme und sozialen Verwerfungen allein der Fremdenverkehrswirtschaft oder gar den Konsumenten selbst anzulasten greift viel zu kurz. Der globalisierte Tourismus funktioniert eben auch nach den Gesetzmäßigkeiten globalisierter Märkte. Die Absurditäten sind übrigens dieselben: Was macht es denn für einen Unterschied, ob das Lamm aus Neuseeland billiger ist als Schaffleisch aus dem Pinzgau oder ob vierzehn Tage Karibik günstiger kommen als eine Woche Attersee. Die Frage nach der Kostenwahrheit beim Transport bleibt wohl überall die gleiche.

Aufgeklärtes Reisen

Und so wird die Diskussion über modernes Reisen schnell auch eine über den globalisierten Kapitalismus. Linke Totalverweigerungshaltungen sind eine individuelle Entscheidung. Politisch bleiben sie wirkungslos und unsinnig. Es ist ein bisschen wie der Versuch, sein Auto mit Benzin zu betanken, an dem kein Blut klebt, sein Konto bei einer Bank anzulegen, die nicht mit Waffengeschäften zu tun hat. Viel Erfolg! Was nicht heißen soll, dass da oder dort Boykottaufrufe von KonsumentInnenorganisationen oder Ökopaxen nicht auch einmal Wirkung zeigen können. Man muss ja nicht unbedingt seine hart erarbeiteten Euro in Ländern mit den finstersten Diktaturen ausgeben.

Mehrheitlich praktikabler als die individuelle Totalverweigerung ist wohl das Streben nach einem „aufgeklärten Reiseverhalten“. Wer aufgeklärt reisen und nicht bloß als konsumvertrottelter Tourist unterwegs sein will, muss sich um zwei Dinge bemühen: Information und Zeit.

Es ist erstaunlich zu beobachten, wie wenig sich viele – durchaus intelligente und gebildete – Menschen vor Urlaubsantritt mit ihrer Reisedestination beschäftigt haben. Die Beispiele sind zahllos: Sie reichen vom ungewollt ungebührlichen Verhalten an für andere Menschen heiligen Orten bis zum Versuch, Trägern in Nepal ihre „unwürdige“ Arbeit durch eigene, übergroße Rucksäcke zu ersparen. Dabei ist in Nepal, wo die meisten Regionen mit Autos nicht erreichbar sind, das Tragen ein völlig normales Gewerbe und bildet die Einkommensbasis für tausende Familien. Die allermeisten Träger arbeiten übrigens ohnehin für ihre eigenen Leute und nicht für Touristen. Ein besonders krasses Beispiel für die Auswirkungen mangelnder Information ist das immer noch beliebte Verschenken von Süßigkeiten an Kinder in Entwicklungsländern. Gerade wo Zahnhygiene nicht zum Standard gehört, ist der in den Schleckereien enthaltene raffinierte Zucker das pure Gift.

„Aufgeklärtes Reisen“ bedeutet aber nicht nur, Fehler zu vermeiden. Es meint auch, ökologisch bewusster zu reisen, indem sich beispielsweise Bergurlauber Gedanken über das Verhältnis zurückgelegter Autokilometer zu den erwanderten Höhenmetern machen; es meint aber auch, regionale Saisonprodukte bei Direktvermarktungskooperativen zu kaufen und entsprechende Gasthäuser zu bevorzugen. Muss man am Mittelmeer wirklich Schwertfisch aus Japan speisen?

Die zweite Anforderung an aufgeklärte Zugvögel ist mit der ersten eng verschränkt: Allein schon das Organisieren von Informationen vor Reiseantritt benötigt Zeit, viel Zeit. Im Urlaub selbst gilt: Weniger ist mehr. Zeit nehmen heißt, länger an einem Ort zu verweilen, statt schnell, schnell alle Sehenswürdigkeiten abzuhaken. Zeit nehmen heißt akzeptieren, dass auch im Zeitalter von Handy und Digi-Cam das Maß unserer Sinne das Gehtempo ist.

Mut zum Verweilen bedeutet schließlich auch, Mut hinzusehen und die Schattenseiten an den Zielorten wahrzunehmen: Die Müllkippe hinter der Almhütte wie das Elend in den Städten Südamerikas.

In diesem Sinn hat das Aufgeklärte Reisen einen Mehrfacheffekt: Der ökologische, soziale und kulturelle Fußabdruck des Reisenden wird weniger tiefe Spuren hinterlassen und – ebenso wichtig – die Erlebnisintensität steigt deutlich. Ob in Übersee, am Mittelmeer oder auf der heimischen Alm. Schönen Urlaub!