juni-juli 2003

Wiglaf Droste

In einer kleinen Brotbrecherei

Ist der Christ nicht gern alleene, ruft er auf zur Ökumene. Wenn es kirchentagt in Berlin, kommt das Gläubische angeeiert, ökumenisch sogar als Doppelpack, Katholen und Prostatisten Hand in Hand, eine zwiefache Hölle zelebrierend, denn doppelt gequält hält besser. Funny van Dannen besingt das Elend so: „Mit Fanta und mit Butterkeks / junge Christen unterwegs.“

Wer Jesus hat, der hat auch Sorgen: Dürfen katholische und evangelische Christen gemeinsam die gaumenklebrige Esspapierhostie mit schlechtem Messwein hinunterspülen, oder muss auf Geheiß ihrer Chefs jeder Haufen für sich bleiben? Bloß wen, abgesehen von Ethnologen und Angehörigen der beiden Sekten, kann das interessieren? Die Berliner »taz« aber druckte im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags im Februar 2003 den Aufruf ihres publizistischen Top-Christen Philipp Gessler: „Brecht das Brot gemeinsam!“ verlangt der Mann und rät: „Was also tun? Trotz allem ungehorsam sein und gemeinsam Abendmahl feiern.“

Abendmahl, gemeinsames, du wildes, ungehorsames! In einer Kleinanzeige läse sich das so: „Abendmahl, männlich, stark behaart, extrem ungehorsam, sucht dominante Brotbrecherin.“ Ein Bekannter, der als Sohn eines Pfarrers aufwachsen musste, erzählte, wie der Vater am Abend jeweils eines der Geschwister auszeichnete, indem er sagte: „Du warst heute am bravsten, du darfst heute das Brot brechen.“ Woraufhin die jeweils zurückgestuften Geschwister eine dicke Portion Hass schoben, die Basis jeder Religion.

Brot und Wein, die einfachen Wahrheiten, können richtig lecker und beglückend sein. Warum aber sich Jesus draufschmieren? Das schmeckt doch gar nicht, und das „Komm Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast“-Gebrummel beim Essen lenkt nur störend ab vom Wesentlichen. Wenn man sich eine Mahlzeit religiös mit Bedeutung aufladen muss, damit sie schmeckt, ist es Zeit, den Koch zu wechseln. An Jesus war nicht viel dran, und das bisschen ist längst vergammelt – wozu also Jesus aufessen? Im Ritual vom Abendmahl hat der Kannibalismus überlebt: Den Leib Christi wegspachteln und sein Blut süppeln, das macht dem Christen wichtige Gefühle. Durch nichts sind Atavistenchristen von ihren unappetitlichen Gebräuchen abzubringen.

Ich will das auch gar nicht – im Gegensatz zum Christen verspüre ich keinen missionarischen Drang und bin tolerant bis an den Rand der Selbstverleugnung. Den naheliegenden Wunsch, angesichts christlicher Betschwesterei Nero und seine guten alten hungrigen Löwen zu reaktivieren, unterdrücke ich. Werde ich in öliger Demut angefrömmelt, versenke ich die Faust nicht im Gesicht des aufdringlich durch die Gegend brüdernden Presbyters, sondern bloß in der eigenen Manteltasche und ziehe weiter, der Verfilmung meines Leben entgegen: TOLERATOR III – DIE ALLES ERDULDEN. Die nächste Folge, TOLERATOR IV – DAS GEDULDIGE FLEISCH, scheint unvermeidlich. Jeden Christen lasse ich seinen Privatwahn zelebrieren – nur bitte eben auch privat. In der Öffentlichkeit gilt das Grundrecht, mit dieser durch sich selbst hinlänglich diskreditierten Sorte Debilität nicht mehr und nicht immer wieder belästigt werden zu müssen.

Wer herumjesussen will, mag das in seinen vier Wänden tun. Wer das Brot brechen muss, um es essen zu können, der muss es halt brechen. Dann aber bitte auch nach dem Essen.