juni-juli 2003

Doc Holliday
grausame orte

Autoput, Heimat und andere Krisen

„Bitterschen, a Billett für Vukovar“. Die ältere Frau, die im Büro des Busreiseunternehmens „Eurolines“ höflich diesen Wunsch vorbringt, stammt aus Kroatien, und ihr steht der Sinn nicht nach einem Glückwunschbriefchen, vielmehr nach einer Fahrkarte. In die „alte“ Heimat soll die große Fahrt gehen: Fünfzehneinhalb Stunden – der „Autoput“ als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln!

Eine altösterreichische Weisheit besagt, dass der Balkan am Wiener Rennweg beginnt. Vielleicht kommt dem dritten Bezirk tatsächlich diese (in den Augen vieler Österreicher eher zweifelhafte) Ehre zuteil. Unzweifelhaft besitzt auch Lehen internationalen Flair: Zu den „eingeborenen“ Salzburgern gesellen sich hier Kroaten, Bosnier, Serben, Türken, Italiener, Afrikaner usf. Ein buntes Gemisch, das von verschiedenartigen Imbissbuden, Gastwirtschaften, Sex-Shops, einem Bordell und einer Nervenklinik versorgt wird. Was eben so alles zur überlebensnotwendigen Infrastruktur gehört. Folgerichtig darf auch ein Busreiseunternehmen nicht fehlen. Nicht irgend eines, sondern das größte Europas. Sein lokales Büro befindet sich in einem Haus, das in den 60er Jahren errichtet wurde. Unter tätiger Mithilfe von Landsleuten der Menschen, die heutzutage zu den bevorzugten Kunden der Busreisen nach Zagreb, Belgrad oder Sarajewo gehören.

Mitte der 60er Jahre tauchten die ersten „Gastarbeiter“, so der euphemistische Begriff jener Zeit, in Österreich auf. Heutzutage schwer vorstellbar, aber seinerzeit herrschte wegen des starken Wirtschaftswachstums und fortschreitender Arbeitszeitverkürzungen akuter Arbeitskräftemangel. Die am Bahnhof eintreffenden Jugoslawen und Türken wurden gleich an Ort und Stelle von den Firmen „eingefangen“ und zur meist schlecht bezahlten Lohnarbeit verpflichtet. Die konnte weder zu dreckig noch zu gefährlich sein, dass sich nicht doch Hackler aus Südosteuropa ihrer angenommen hätten.

Als Dank qualifizierten die Einheimischen ihre neuen Sklaven als „Tschuschen“ ab: Wie sehr dies auch mit österreichischem Masochismus zu tun hatte, zeigte eine Werbekampagne, die Anfang der 70er Jahre für Toleranz warb: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogens Tschusch zu dir?!“

Den Tschusch in ihnen selbst verdrängten die Österreicher lieber – Ressentiments und Chauvinismus mussten gerade nach zwei verlorenen Weltkriegen auf „Menschen zweiter Klasse“ abgeladen werden. Das verlangt die sprichwörtliche österreichische Gemütlichkeit – nach dem Motto: Auch a Hetz muaß sein und überhaupt, za wos homma denn de Hülfstschak. Putzen und von den Baugerüsten stürzen – das ist auch nicht abendfüllend.