april-mai 2003

Doc Holliday

Gegen das Vergessen!

Anfang Mai jährt sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee zum 58. Mal

Der gut 8600 Einwohner zählende, am Südufer des Traunsees gelegene Ort Ebensee ist aus den unterschiedlichsten Gründen eine Reise wert. Neben hervorragenden Möglichkeiten, die Natur im nahen Höllengebirge zu erkunden, und den vielfältigen Angeboten des „Kulturvereins Kino Ebensee“ beherbergt die Marktgemeinde auch ein einmaliges Museum: Das Zeitgeschichtemuseum Ebensee und die KZ-Gedenkstätte Ebensee.

Mustergültiges Museum

Der gleichnamige Verein „Zeitgeschichte Museum und KZ-Gedenkstätte Ebensee“ besteht seit 1988. Bis zum Jahr 2001 trug er allerdings den Namen „Widerstands Museum“. Die Ausweitung der Inhalte und Arbeitsschwerpunkte veranlasste den Vereinsvorstand zur Namensänderung. In einem alten Schulgebäude (das 1790 erbaut wurde) mitten im malerischen Ortszentrum gelegen, befindet sich die erste umfassende Dauerausstellung zur österreichischen Zeitgeschichte. Die Dokumentation der politischen Geschichte Österreichs von 1918 bis 1955 erfolgt vorzugsweise mittels regionalgeschichtlicher Quellen, die jedoch stets im Bezug zur gesamtösterreichischen Entwicklung stehen. Rund 1000 Fotos, Plakate, Dokumente sowie zwei Videostationen und eine Diaschau beschäftigen sich vor allem mit folgenden Themenkomplexen:

• politische „Lagerkultur“ der Ersten Republik

• Bürgerkrieg im Februar 1934

• Austrofaschismus von 1934 – 1938

• Nationalsozialismus: Verfolgung und

Widerstand, KZ Ebensee

• Umgang mit der NS-Vergangenheit

(„Opfermythos“, Gedenken und Erinnern).

Ein Foto- und Dokumentenarchiv sowie die Bibliothek mit etwa 3000 Bänden stehen den Interessierten für Forschungszwecke zur Verfügung. In den Datenbanken und Karteien sind die Opferdaten und Verzeichnisse der Überlebenden des Ebenseer KZs, Namenslisten des Arbeitslagers Traunkirchen und Zwangsarbeiter-Meldekarteien aus dem Raum Ebensee gespeichert. Die Mitarbeiter des Museums unterstützen SchülerInnen und Studierende bei der Recherche und Materialauswahl für fachspezifische Arbeiten. Die KZ-Gedenkstätte befindet sich auf dem ehemaligen Lagergelände, von dem heute allerdings nur mehr der Torbogen des Eingangs (mit einer Gedenktafel der Gemeinde Ebensee) und ein Teil der Stollenanlagen erhalten ist. In letzteren kann seit 1996 eine Dauerausstellung zur Geschichte des KZs besichtigt werden. Auch Reste einer Steintreppe (der sogenannte „Löwengang“) und der KZ-Friedhof sind öffentlich zugänglich.

Rund 4000 Opfer liegen dort in Einzel- und Massengräbern. Auf dem Großteil des ehemaligen Lagerareals befindet sich heute eine Wohnsiedlung.

Kurze Geschichte des KZs Ebensee

Bereits Anfang August 1938, also nur wenige Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland, wurde im oberösterreichischen Mauthausen (in der Nähe von Linz) ein Konzentrationslager für ursprünglich vorwiegend österreichische Häftlinge – die aber immer in der Minderheit blieben – eingerichtet. Der für die NS-Verbrecher nicht besonders günstige Kriegsverlauf – ab 1942 intensivierten sich die alliierten Bombenangriffe auf die „reichsdeutschen“ Industriebetriebe – führte zur Dezentralisation der Produktion. Wichtige Fertigungsstätten wurden in die Nähe der Konzentrationslager verlegt, nicht zuletzt um genügend „Menschenmaterial“ für die inhumane Zwangsarbeit im Dienste der deutschen Kriegswirtschaft und zum Profit einiger „arischer“ Unternehmer zur Verfügung zu haben. So entstand am 18. November 1943 etwa 100 Kilometer südwestlich von Mauthausen eines von über 40 Nebenlagern: Das KZ Ebensee erhielt den Tarnnamen „SS-Arbeitslager Zement“. Das Labyrinth von unterirdischen Tunneln in den zwei riesigen Hauptstollenanlagen wurde von 7000 Häftlingen in nur wenigen Monaten gebaut. Eigentlich wollten die NS-Bonzen dort einen Teil der Raketenproduktion bzw. die Forschungsabteilung aus dem norddeutschen Peenemünde ansiedeln. Der SS-Ingenieur Wernher von Braun beabsichtigte die Entwicklung der ultimativen „Wunderwaffe“, einer Interkontinentalrakete, die auch die USA bedrohen sollte. Diese Vorhaben stürzten aber genau wie die „Wunderwaffen“ ab, und in den Stollenanlagen mussten die KZ-Häftlinge schließlich Sklavenarbeit für die Deutsche Erdöl AG und die Steyr-Daimler Puch AG leisten. Bei den Außenarbeitskommandos schufteten und starben die Gefangenen für Firmen wie Siemens, Universale, Stuag, Hoffmann & Maculan: honorige Betriebe, die auch in der Gegenwart ihre Geschäfte treiben. Bis Ende Juli 1944 wurden die Toten zur Einäscherung nach Mauthausen gebracht, danach im eigens errichteten Krematorium in Ebensee verbrannt. Bis zur Befreiung des Lagers durch US-Truppen am 6. Mai 1945 starben von den insgesamt etwa 27.000 Häftlingen aus 20 Nationen (davon ca. 30 Prozent jüdischer Herkunft) etwa 8500. Das Salzkammergut bildete das Kerngebiet der sogenannten „Alpenfestung“, dem letzten Zufluchtsort der Nazis. Die unzugänglichen Berggebiete ermöglichten einigen hochrangigen SS-Verbrechern tatsächlich die spätere Flucht (etwa dem eiskalten Schreibtischtäter Adolf Eichmann, der sich am 1. Mai 1945 in Ebensee aufgehalten hatte). Andere – wie der gebürtige Oberösterreicher (Ried im Innkreis) Ernst Kaltenbrunner – wurden im Toten Gebirge zwischen Ebensee und Altaussee festgenommen. An der Verhaftung Kaltenbrunners waren auch Mitglieder der antinazistischen Widerstandsbewegung beteiligt.

Die Schicksale dieser Antifaschisten aus dem Salzkammergut der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist nur ein Verdienst des sehr empfehlenswerten und gelungenen Zeitgeschichte Museums, das der Historiker Wolfgang Quatember leitet. Andernorts scheitert man schon an einer einfachen Gedenktafel, die den historischen Tatsachen nicht gerecht wird, und ein Projekt mit dem Titel „Unschärfen“ hinterlässt keine oder nur wenige Spuren, nicht zuletzt weil die lückenlose Dokumentation der braunen Vergangenheit einer ehemaligen Gauhauptstadt offenbar weder der Mehrheit der Politiker noch der Bevölkerung opportun erscheint. Da der »kunstfehler« bereits des Öfteren auf diese Zustände hingewiesen hat, wissen die LeserInnen wohl, dass von Salzburg die Rede ist.

Zeitgeschichte Museum und KZ-Gedenkstätte Ebensee

Kirchengasse 5, 4802 Ebensee. Tel.: 06133/5601

E-Mail: museum@utanet.at

Internet: www.ebensee.org

Literaturtipps:

Florian Freund: „Arbeitslager Zement. Das Konzentrationslager Ebensee und die Raketenrüstung“ (Wien 1989)

Wolfgang Quatember/Ulrike Felber/ Susanne Rolinek: „Das Salzkammergut. Seine politische Kultur in der Ersten und Zweiten Republik“ (Grünbach 2000, Steinmaßl Verlag)

Christian Topf: „Auf den Spuren der Partisanen“. Zeitgeschichtliche Wanderungen im Salzkammergut. (Grünbach 1996, Steinmaßl Verlag)

„Betrifft Widerstand“. Eine Zeitschrift des Zeitgeschichte Museums und der KZ-Gedenkstätte Ebensee