april-mai 2003

Karl Zechenter
kommentar

Wie nah sind die Nachbarn?

Die Türkei wird je nach Ansicht als Brücke oder Schwelle nach Europa betrachtet.

Noch immer ist die türkische Politik deutlich anders als im EU-Durchschnitt organisiert; der Nationale Sicherheitsrat ist das oberste Staatsorgan, das mit mehr Vertretern der Armee als der Zivilgesellschaft besetzt ist. Laizismus bedeutet nicht à la Frankreich, Trennung von Staat und Religion, sondern die Verwaltung der Religion in einem eigenen Ministerium.

Die starken inneren Spannungen, zwischen imperialer Herrschaft und Randlage, pluralistischer Glaubensauffassung und religiösem Fundamentalismus, Kosmopolitismus und harter Minderheitenpolitik (Aleviten, Kurden), wurden in der Vergangenheit in Armee und einem starken türkischen Nationalismus aufgelöst.

Heute ist die türkische Gesellschaft in einem rapiden Übergangs- und Wandlungsprozess, in dem die Einbettung in eine Staatengemeinschaft wie die EU immer mehr Bedeutung gewinnt. Mit dem EU-Beitritt gelingt eine Einigung der türkischen Gesellschaft nach innen, die Aussicht auf die Union macht außenpolitische Zugeständnisse (Zypern) möglich.

Die im ersten Augenblick kulturkonservativ-rhetorische Frage „Wie weit geht der Westen?“, wird vor dem Hintergrund der gemeinsamen, imperialen Geschichte mehrdeutig. Wir wollen ihn in einer Diskussion auch so fassen: Wie weit geht der Westen der Türkei entgegen, wie offen sind die EU-Institutionen für die Erfordernisse, die die Türkei einbringt und wie weit geht die EU mit ihren Forderungen? Ein Bruch mit der eigenen Kultur kann genausowenig im Sinn der EU sein, wie ein instabiler Partner. Die Türkei wird zum interessanten Katalysator für Veränderungen in Brüssel selbst. Denn von einem vermeintlich wirtschaftlich wie kulturell homogenen „Westen“ zu sprechen wäre ebenso verfehlt.

Eine Annäherung als gelebte kulturelle Praxis muss auch unvermittelt die Frage stellen: Wie nah sind die Nachbarn? Und nicht: Wann kommen sie an?, sondern wann werden die empfangen, die längst schon da sind? Die türkische Community und ihr Verhältnis zu Salzburg wird so zum Thema. In einer Diskussion wollen wir so dem EU-Fortschrittsbericht den regionalen Fortschrittsbericht versuchsweise entgegenstellen.

Veranstaltungstipp:

Diskussionsveranstaltung

am 22. Mai um 20.00 Uhr in der ARGEkultur