april-mai 2003

Wiglaf Droste

Schlagergrandprix

Unter der Schwuchtelfuchtel

In den letzten neun Wochen haben wir eine Menge dazugelernt über die Schlagersorte Mensch. Dass dabei die „taz“ zu ihrem Sprachrohr wurde, kann nur den verwundern, der diese Zeitung nicht kennt: Die „taz“ ist immer für etwas gut, für was auch immer. Das Paralleluniversum Schlagergrandprix zu beschreiben, indem man seinen Fuß auf dieses seifige Terrain setzt, kann einen Versuch wert sein. Wenn man wüsste, was man und warum man es tut, könnte man das sehr schön machen: souverän, sich der eigenen Rolle im Spielchen bewusst, humorvoll, die Manierismen des Gewerbes beleuchtend, bei aller Freude am Unfug die Distanz wahrend und entsprechend selbstironisch tongue-in-cheek. Man kann das aber auch ganz anders machen. Wir haben es erfahren.

Es begann an Silvester. Mit einem Blick, der den Fettaugen auf meiner Hühnersuppe Konkurrenz machen konnte, bekannte Claudia Roth: „Der Grand Prix ist ein toller Event. Seit man anrufen kann, mache ich da mit. Ich leide da wie die Pest.“ Dass Frau Roth eine Pest ist, will ich nicht in Abrede stellen; bisher war es allerdings so, dass man AN der Pest leidet. Wenn aber in Gestalt Claudia Roths die Pest das nun selbst tut, soll’s mir auch recht sein.

Eine Woche später legte die Reporterin Waltraud Schwab nach: „Herz aus Eis“ heißt der Song, mit dem Senait ins Rennen geschickt wird. Mit ihrer souligen Stimme wird sie aus jedem kalten Text eines Mannes die heiße Sache einer Frau machen.“ Die heiße Sache einer Frau – was ist das? Mir ist das nicht egal, ich will das wissen. Doch die Begeisterung der Journalistin hat längst ein anderes Objekt gefunden. Final ekstatisch ruft sie aus: „Wer hätte dieser Linken so was zugetraut?“ Wenn ich das sagen darf: ich schon, dieser Linken unbedingt, alles und noch viel mehr, wie es ein alter Schlager sagt.

Ausführlich zu Wort kam auch die Frau, deren – ich muss es einfach noch einmal sagen! – soulige Stimme kalte Männertexte in heiße Frauensachen verwandeln kann wie einst Jesus den Wein in Wasser, das er ließ. Senait beschenkte uns mit dem Spagat ihrer Erkenntnisse: „Was zurzeit in der Welt passiert, ist viel wichtiger als jeder Gesangswettbewerb. Und es regt mich richtig auf“, erregte sie sich, doch konnte sie sich glücklich beruhigen: „Mein Glück, dass ich heute eine Einladung zu „Kerner“ habe.“

Eine gute Nachricht für die Stellungslosen der Post-Pisa-Generation wurde verkündet: Es gibt einen Beruf ohne jede Voraussetzung – den des „Grand-Prix-Experten“. Der eine der beiden, die ihn ausüben, Jan Feddersen, schreibt über den anderen, Georg Uecker, unter anderem: „der im Übrigen Homosexuelle“. Das klingt rätselhaft: welches Übrige? Man muss kein Pathologe sein, um Menschen zu zerlegen – Klatschtanten können das auch. Ein Unterschied zwischen „taz“ und „Bild“ oder zwischen „taz“ und „Bunte“ besteht exakt so lange, wie man ihn macht.

Grund zu bescheidenem Optimismus gibt uns Kandidatin Senait: „Ich hoffe echt, dass ich eine gute Verliererin sein könnte.“ Das hoffe ich auch, allerdings nicht echt, sondern im Gegenteil wirklich.