februar-märz 2003

gelesen

Bücher

Jura Soyfer – Werkausgabe

Verlag Deuticke

Über 60 Jahre nach seinem Tod im Konzentrationslager Buchenwald liegt nun erstmals eine vollständige Gesamtausgabe des Werkes von Jura Soyfer vor. Die vier Bände („Zwischenrufe links“ – „Auf uns kommt’s an!“ – „So starb eine Partei“ – „Sturmzeit“) des 1912 in der Ukraine in eine jüdisch-bürgerlicher Familie Geborenen enthalten neben bekannten Theaterstücken („Der Lechner Edi schaut ins Paradies“), Prosa („So starb eine Partei“) und ergreifenden Dokumenten des Widerstands gegen das NS-Terrorregime („Dachaulied“) auch bisher unveröffentlichte Texte, Skizzen und Briefe.

Soyfers Texte sind literarisch hochwertige Dokumente über das dunkelste Kapitel der europäischen Geschichte sowie die Lebensfreude und Hoffnung des linken-demokratischen Widerstandes. Soyfers Werk ist auch ein erhellendes Zeugnis dafür, dass damals wie heute die wesentliche Trennlinie zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Herrschern und Beherrschten verläuft. In ihrer grenzenlosen Menschenfreundlichkeit machen sie gleichzeitig auch das Wesen der antikapitalistischen Globalisierungskritik 2002 deutlich. Wer kann schon sagen, ob das Lied über die marktkonforme Verbrennung von Lebensmitteln aus 1932 oder 2002 datiert? „Und während der Weizen zum Himmel stank, erschoß man Menschen, die Hunger hatten.“ Und wer kann schon sagen, ob Soyfers Warnung vor dem Untergang der Welt, vor dem alles verzehrenden Flächenbrand Krieg nicht auch morgen schon wieder allzu aktuell wird?

Thomas Neuhold

Harry Rowohlt erzählt Ralf

Sotschek sein Leben von der

Wiege bis zur Biege:

„In Schlucken-zwei-Spechte“ Edition Tiamat, Berlin 2002

Wer vor einigen Jahren im „Das Kino“ nicht dabei war, ist selber schuld. Kurt Palm sei Dank gastierte seinerzeit der Hamburger Vortragskünstler Harry Rowohlt anlässlich der Salzburger Premiere der Verfilmung des Flann O`Brien-Romans „In Schwimmen-zwei-Vögel“ im hiesigen Lichtspieltheater – um eine seiner legendären Lesungen zu geben und sich selbst auf der Leinwand in der ihm von Regisseur Palm verordneten Rolle zu begutachten. Lesung trifft Rowohlts Tätigkeit nur sehr bedingt: Er selbst nennt seine Auftritte „Schausaufen mit Betonung“.

In Salzburg machte der in Aussehen und Stimmlage einem zottelbärtigen Bären doch verblüffend ähnelnde Rowohlt da keine Ausnahme: Guinness und irischer Whiskey (Ehrensache, schließlich trägt der Mann den offiziellen Ehrentitel „Ambassador Of Irish Whiskey“!) begleiteten die Rezitation samt ausschweifender „Randbemerkungen“. Das kunstsinnige Publikum konnte sich an der Bar übrigens ebenfalls in irische Zustände versetzen – an größere Ausschweifungen im Auditorium vermag ich mich nicht mehr zu erinnern. Rowohlts eigentlicher Beruf ist der eines Übersetzers. Über 100 Bücher (darunter Flann O`Briens Werke, aber auch Frank McCourt oder Kurt Vonnegut) hat er aus dem Englischen, Amerikanischen und Irischen ins Deutsche übertragen. Dazu noch Comics des Geilspechts Robert Crumb. Für die „Pu der Bär“-CDs heimste Rowohlt einen Preis ein. Preise solle man übrigens, so ein Ratschlag des großen Gerhard Polt, in Würdelosigkeit ertragen. Rowohlt weiß aber noch mehr komische Geschichten – über Pissoirstein leckende Journalisten, Trachtenkapellen auf der Reeperbahn, die Vorzüge von Gummischlapfen oder ähnlich wertvolle Kulturleistungen, Zeitgenossen und Begebenheiten. Nochmals Polt, zitiert nach Rowohlt: „Kalt is draus, des miasma ausnützen, bleima herinn.“ Ein schönes, bei Erscheinen dieses kf wohl noch immer gültiges Motto, das man aber ergänzen sollte: Und lesma des Buach. Slainte! (Ist nicht bayerisch, sondern gälisch und bedeutet „Prost“).

Doc Holliday

Slavoj Zizek

Die Revolution steht bevor.

Dreizehn Versuche über Lenin

edition suhrkamp 2002,

189 Seiten

Schon in seinem letzten Monsterwerk „Die Tücke des Subjekts“ (2001) hat der slowenische Psychoanalytiker und Theoretiker nach der Re-Lektüre von Marx & Freud ein ähnliches Unterfangen in Sachen Lenin & Lacan gleichsam als Rute ins politisch-pilosophische Fenster unserer Zeit gestellt. Die Rute ist nun da, und Zizek stellt gleich zu Beginn klar, dass es dabei unmissverständlich um „die entscheidende Bedeutung avancierter Theorie für den ganz konkreten politischen Kampf heute“ geht. Also um „revolutionäre Mikropolitik“ (im Sinne von Deleuze/Guattari), nur eben „aus einer leninistischen Perspektive“. Dem angesichts dieses Unterfangens zu erwartenden „sarkastischen Gelächter“ kontert Zizek mit profunder Theorie (nur keine Angst davor!), pointierten (Denk-)Provokationen (allein schon durch Kapitelüberschriften wie „Die innere Größe des Stalinismus“ oder der Forderung nach einer Verstaatlichung von Microsoft) und natürlich typisch Zizekschen Theorieversteigungen wie Gedankenüberspannungen. Dabei spielen avancierte Filmproduktionen wie „Matrix“ oder „Fight Club“ ebenso eine Rolle wie es um grundlegende philosophische Basics („Wiedersehen mit dem Materialismus“) geht. Wie durch ein leninistisch-lacanistisches Brennglas blick Zizek auf die heutige, globalisierte Gesellschaft und bohrt dabei genüsslich (aber nicht grundlos) in den Wunden bzw. „Wüsten des Realen“. Wobei es hier natürlich nicht nur um den „bösen Kapitalismus“ geht, sondern auch um das Projekt einer „linksradikalen Kritik“ an Konzepten der Antiglobalisierung, die „das Ganze“ („den Kapitalismus und die Staatsapparate“, also auch die primäre Abhängigkeiten/Zusammenhänge zwischen „Demokratie“ und „kapitalistischem Privatvermögen“) außer Acht lassen.

Denn, so Zizek: „Der fromme Wunsch, die Revolution des Exzesses zu berauben, entspricht dem Wunsch nach einer Revolution ohne Revolution.“ Und deshalb auch Lenin statt linker (marxistischer) Nostalgie/Romantik. „Lenin wiederholen heißt nicht, das zu wiederholen, was Lenin tat, sondern das, was er nicht tat, seine verpassten Gelegenheiten.“ Harter Brocken, aber mit garantiert heftigsten Gerhirnschmalzbewegungen. Kurz: „Denk, du Sau!“ (Die Guten/Drehli Robnik)

Didi Neidhart