februar-märz 2003

Doc Holliday
titel

Im Maul der Haifische

Wie Hasard, Preistreiberei und Größenwahn das Konzertangebot bestimmen

In Zukunft werden Konzerte in der ARGE Salzburg wieder einen größeren Stellenwert erhalten. Für das Jahr 2003 sind 30 geplant. Davon etwa zwölf bis vierzehn in der Club Afficionado-Reihe, die ab heuer mehr Wert auf stilistische Breite legen wird (siehe auch Kasten „Rock’n’Roll Is Here To Stay“ auf Seite 9). Ein guter Grund, die Mechanismen der Musikindustrie und des Konzertgeschäftes zu durchleuchten.

Was von den Konsumenten als lockere Unterhaltung wahrgenommen wird, entpuppt sich in der Realität als knallhartes Geschäft, an dem viele Mitspieler partizipieren möchten und das vertikal strukturiert ist.

Die Krise der Musikindustrie

Beginnen wir ganz oben, also bei der Musikindustrie. Ganze fünf Konzerne beherrschen heute global den Markt (Sony, EMI, Universal, Warner und BMG). Der Medienkritiker John Katz nennt diese Konstellation mit feinem Gespür für eine Analogie „das größte Kartell außerhalb Kolumbiens“. Spätestens seit der letztjährigen PopKomm, der größten Musikmesse der Welt, ist es amtlich: die Branche befindet sich in einer Krise. Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum der CD jammert die Industrie über weltweite Umsatzrückgänge von 15 Prozent. Mehr als 110 Milliarden CDs wurden bislang insgesamt hergestellt – ohne die selbst gebrannten Klone. In Deutschland etwa kamen schon 2001 mehr privat bespielte Silberscheiben als industriell gefertigte Tonträger in die Abspielgeräte. Die einst als großer technologischer Fortschritt gefeierte Digitalisierung der Inhalte zeigt nun ihr Janusgesicht: die perfekte Kopierbarkeit. Kopierschutzmaßnahmen führten bislang noch nicht zum Erfolg, eher tragen sie zur Verärgerung der Konsumenten bei, die ihre für gutes Geld gekauften CDs dann bisweilen nicht in Autoanlagen oder DVD-Playern abspielen können.

Eine weitere Quelle der Krise ortet die Branche im Internet. Mehr oder weniger legale und illegale Downloads – weltweit drei Milliarden pro Monat – tragen dazu bei, dass der Industrie ihre Haupteinnahmequelle abhanden kommt.

Wie aber hängt die Krise der Industrie mit den Problemen der kleineren und mittleren Konzertveranstalter zusammen? Für die Plattenfirmen bedeuten Tourneen ihrer Acts vor allem eine Promotion-Maßnahme, um einen Künstler auf dem Markt zu etablieren, einen Hype anzuheizen und letztendlich, um haufenweise Tonträger verkaufen zu können. Heutzutage üben sich die Firmen in größerer Zurückhaltung und Vorsicht, wenn es darum geht, eine Tournee etwa mit Plakaten, Einschaltungen oder Inseraten zu unterstützen. Wolf Arrer, verantwortlich für die Konzertprogrammierung im Salzburger Rockhouse, bestätigt, dass es früher viel leichter war, die Titelseite des Programmheftes zu „verkaufen“. Einerseits ist Sparen angesagt, andererseits herrscht auf manchen Ebenen noch immer Größenwahn. Christof Ellinghaus, unter anderem Chef des Berliner Independent-Labels City Slang: „Das größte Problem der Musikindustrie sind die Egos. Ich kenne keinen anderen Industriezweig, in dem so viel Geld für aufgeplusterte Egos verbrannt wird. Das betrifft nicht nur Superstars, sondern auch die Chefs der Plattenfirmen. Da wird weltweit Geld aus dem Fenster geworfen, weil irgendein Mensch in Los Angeles, London, Tokio oder Berlin beschlossen hat, irgendwas sei das nächste große Ding.“ Mit der Concorde – nach dem bewährten Motto „Zeit ist Geld“ – mal eben für einen Abend von New York nach London und retour zu jetten gehört für die Executives noch immer zum guten Ton.

Agenturen als Zwischenhändler

Wenn es eine Band schafft, von ihrer Plattenfirma auf Tour geschickt zu werden, treten die Konzertagenturen auf den Plan. US-Künstler wickeln ihre Gigs in Europa normalerweise über englische oder holländische Agenturen ab. Diese wiederum teilen Europa in einzelne Sektoren (etwa Skandinavien, Südeuropa oder Mitteleuropa – Österreich bildet meist mit Deutschland, der Schweiz und den Benelux-Staaten ein Gebiet). Die Rechte für soundso viele Konzerte der Tour werden an Agenturen weiterverkauft. Diese schicken dann Informationen über geplante Tourneen an die einzelnen Veranstalter. In der Regel erwarten die Agenturen danach finanzielle Angebote von den Clubs und lokalen Veranstaltern. Die Gagen sind – jedenfalls in einem gewissen Rahmen – Verhandlungssache. Halbwegs bekannte MusikantInnen und Gruppen respektive Management und Tourveranstalter stellen an die Clubs oft grundsätzliche Anforderungen. Etwa dass der Veranstaltungsort eine gewisse Kapazität – sprich die entsprechende Größe – aufweisen muss. Da der heimische Markt sehr klein ist, planen Tourveranstalter meist auch bloß einen Österreich-Auftritt ein. Der findet dann bevorzugt in Wien statt.

Konzentrationserscheinungen im Kapitalismus sind ähnlich unvermeidbar wie ein zünftiger Rausch nach dem Genuss einer Flasche Jägermeister (übrigens nicht nur bei US-Heavy Metal-Bands das beliebteste Erfrischungsgetränk in europäischen Garderoben). Beides, Monopol und Mulatschag, können am Tag danach zu einem heftigen Kater führen. Beispiel gefällig? Ende 2000 fusionierten fünf heimische Konzertveranstalter zur „Promoters Group Austria AG“ (PGA): Artist Marketing, Jazz-Fest-Wiesen-Veranstalter Franz Bogner, Rock Produktion, Music Promotions und PSI. Den damaligen Umsatz von 320 Millionen Schilling wollten die ehemaligen Konkurrenten auf 400 bis 450 Millionen Schilling erhöhen. Im Boot der PGA befand sich auch der Libro-Konzern. Die Klärung der Frage, ob es sich bei der PGA um ein marktbeherrschendes Kartell handelte, verhinderte der Libro-Konkurs. Nachdem der einst wahrscheinlich erfolgreichste Veranstalter Österreichs, die Rock Produktion, Anfang letzten Jahres ebenfalls in den Konkurs schlitterte, war der Versuch, einen „Dachverband“ heimischer Agenturen zu bilden beendet: die PGA zerfiel im Sommer 2002, einzelne Firmen arbeiten wieder solo (Wiesen/Bogner, PSI oder „Artist Management“). Brancheninsider mutmaßten schon früh, dass es sich bei der PGA um den leicht megalomanischen Zusammenschluss hoch verschuldeter Firmen handelte. Lokale Promoter, besonders aber konkurrierende Veranstalter beklagten auch einen gewissen Preisdruck. Was dann zu überhöhten Angeboten (Insider sprechen von rund einem Drittel über Normalpreis) an Bandmanagements führte und letztendlich den Markt ruinierte. Nicht aber alle Kleinagenturen. Solche gibt es nach wie vor in Österreich: meistens spezialisiert auf bestimmte Musikstile. „Rock The Nation“ (im Heavy Metal-Geschäft) besitzt einen derart guten Namen, dass sie von den führenden englischen Agenturen oft direkt die Rechte für Italien, Slowenien, Ungarn und Österreich erhalten. Ansonsten sind im Veranstaltungsgeschäft gut und gerne bis zu vier Agenturen zwischengeschaltet. Was die Sache nicht eben billiger macht. Das Volumen des gesamten heimischen Veranstaltungsmarktes wurde in einer Studie aus dem Jahr 2000 mit sieben bis zehn Milliarden Schilling beziffert.

Such die Nische!

Entsprechend den diversen sich immer mehr ausdifferenzierenden Musikstilen bleibt auch den Clubs oft nichts anderes übrig, als sich gewisse Nischen zu suchen. Einerseits bestimmt die Größe eines Clubs, andererseits natürlich auch die persönlichen Steckenpferde der Promoter die jeweilige Orientierung. Manche Bands oder auch ganze Stile disqualifizieren sich durch unverschämt hohe Gagenforderungen ohnehin von selbst: Deutsche Crossover- und Hip Hop-Acts etwa lassen sich unter 4.000 Euro Minimum gar nicht mehr verpflichten. Auch DJ-Stars (DJ Hell, Terranova) wollen für ein dreistündiges Set mindestens 4.000 Euro! Englische Bands (zumindest wenn das Label „Brit-Pop“ irgendwie draufgepickt werden kann) sind für Klein- und Mittelklubs, so Wolf Arrer, seit längerem völlig unbezahlbar. Mit den in den letzten Jahren doch erheblich gestiegenen Produktionskosten, ähnelt das Geschäft oft einem Glücksspiel. Nach einem schlechten Jahr 2001, so ARGE-Promoterin Gabi Freischlager, sei es 2002 mit den Besucherzahlen wieder aufwärts gegangen. Erfolgsrezept sei ein ausgewogenes Musikangebot und die gute Zusammenarbeit mit anderen lokalen Clubs. Dass die wechselseitige Informationspolitik über in Planung befindliche Konzerte zwischen ARGE, Rockhouse und Jazzit vorbildlich funktioniert, bestätigten alle drei Promoter. Andi Neumayer vom Jazzit weiß, dass auch im Randbereich Jazz-Avantgarde die internationalen Künstler immer utopischere Gagenvorstellungen haben. Vor etwa fünf, sechs Jahren herrschte in diesem Segment aber noch ein weitaus geringeres Publikumsinteresse. Ob der vorsichtige Optimismus gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. In der BRD übrigens, wo fast kein Club in den Genuss von öffentlichen Subventionen kommt, müssen derzeit immer mehr Spielstätten schließen, so etwa der renommierte, von den gleichnamigen Dancefloor-Jazz-Kompilationen bekannte Mojo-Club in Hamburg.