februar-märz 2003

Wiglaf Droste

»taz« gewinnt – und zieht den Kürzeren

Im so genannten »Penis-Prozess« gegen die »taz« bekommt »Bild«-Chefredakteur Kai Diekmann keinen Cent Schmerzensgeld zugesprochen

Bild lügt, und Lügen haben kurze Beine, so sagen es zwei Sprichwörter. Um kurze Beine aber geht es in der folgenden Bild-Geschichte nicht. Am achten Mai 2002 veröffentlicht der Schriftsteller und Satiriker Gerhard Henschel auf der Wahrheit-Seite der taz eine Satire auf die Arbeitsweise des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann. „Sex-Schock! Penis kaputt?“, fragt die Überschrift ganz im Stil von Bild; etwas weiter unten berichtet Henschel über Gerüchte, Diekmann habe sich in Florida einer Penisverlängerungsoperation unterzogen, die aber missglückt sei und einer Kastration des Patienten gleichkomme.

Seine Motive für diesen fiktiven Eingriff in die Privatsphäre des Bild-Chefs legt Henschel offen dar und stellt sie seiner Satire voran: „Zuletzt hatte Diekmann anlässlich der bombastisch aufgemachten Nachricht von einer Fehlgeburt der Schweizer Botschaftergattin Shawne Fielding-Borer ein Vollbad in den eigenen Krokodilstränen genommen: Sex-Schock - Baby verloren – Sorgen um Frau des Botschafters – Wird sie nie wieder glücklich? ... Sie weint um ihr verlorenes Baby. Ihre Ehe wird weiter in den Schmutz gezogen...' Und zwar von Kai Diekmann persönlich, für den ein Tag ohne Sex-Schocks, Fehlgeburten und öffentlich in den Schmutz gezogene Ehen ein verlorener Tag ist.“

Kai Diekmann, der laut Henschel „jeden Tag bis zum Hals durch Tränen, Blut und Fruchtwasser watet“, ist verständlicherweise nicht begeistert darüber, dass ihm der Spiegel vorgehalten wird – was er zu sehen bekommt, ist – das liegt in der Natur der Sache – äußerst unappetitlich: eine feucht gegelte Samenschleuder, die davon lebt, tagtäglich Menschen in den Kot zu treiben und sie mit nassen Unterhosen zu belästigen.

Anstatt nun aber geeignete Maßnahmen zu ergreifen, das abzustellen, ist Diekmann beleidigt und zieht vor Gericht. 30.000 Euro Schmerzensgeld verlangen seine Anwälte von der „taz“. Die kleine Zeitung widersteht der Versuchung, aus ihren Lesern dumpf die Solidarität im Kampf David „taz” gegen Goliath „Bild” herauszuerpressen, sondern setzte auf intelligente Unterhaltung. Die letzten sieben Tage im Vorfeld des Prozesses ruft die Wahrheit-Seite zur „Woche der Verlängerung“ aus; thematisiert werden Verlängerungen aller Art: Haare, Fußballspiele, der Pariser Urmeter – was halt so verlängert werden kann. Diekmanns Anwälte drohen mit weiterenKlagen und Schmerzensgeldforderungen, und die schon im letzten Bundestagswahlkampf deutlich erkennbare Achse Bild–FAZ funktioniert auch hier: Ein vom Medienredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bestelltes Interview mit dem „taz“-Wahrheit-Redakteur Michael Ringel wird von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher persönlich aus dem Blatt geworfen. Man hält halt zusammen im administrativen Milieu.

In der „taz“ macht die Schlagzeile „So oder so: „taz“ zieht den Kürzeren“ die Runde, und es kursieren allerlei Wortwitze über den „kurzen Prozess“ des Kai Diekmann. Doch auch im eigenen Blatt gibt es Spott für für den Bild-Chef. In Diekmanns Abwesenheit wird fünf Tage vor dem Prozess eine seltsame Meldung auf Seite eins der „Bild“ gehievt: „Neun Zentimeter reichen für guten Sex“; in dem kurzen Text heißt es unter anderem: „Über 65 Prozent aller Männer glauben, dass sie einen zu kleinen Penis haben.“ Kai Diekmann, von einem Reporter der Frankfurter Rundschau darauf angesprochen, ist nicht amüsiert. Der Strizzi simuliert weiterhin den Ehrenmann und bleibt bei seiner Forderung.

Die Richter am Berliner Landgericht aber sehen die Sache anders an am 19. November 2002: Zwar handle es sich bei Henschels Text um einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, doch sei dieser nicht so schwerwiegend, dass Schmerzensgeld gezahlt werden müsse. Eine so öffentlichkeitsprägende Figur wie der Bild-Chefredakteur müsse sich schärfere Kritik gefallen lassen als eine Privatperson.

Diekmanns Anwalt Peter Raue versucht geltend zu machen, sein Mandant sei „tief verletzt“. Raue spricht von einem „Versuch, Kai Diekmann zu vernichten und die ganze Welt über ihn lachen zu lassen.“ Er zitiert den im Gerichtssaal persönlich nicht präsenten Diekmann mit dem Satz: „Da ruft die Mutter an und sagt: Mein Kind, was tust du?“ Ob darüber die ganze Welt lacht, ist nicht bekannt – die Anwesenden jedenfalls gibbeln von Herzen. Der Name Kai Diekmann, und das liegt allein in der Verantwortung Kai Diekmanns und in der seiner juristischen Berater, ist seit diesem Tag für immer untrennbar verbunden mit den Untenrum-Vokabeln „Penisprozess“ und „Penisverlängerung“. Da hilft dem Diekmann kein Schirrmacher und auch sonst kein Westentaschengott.