dezember 2002 - jänner 2003

Andrea Marchner-Bertignol
zu gast

Gleicher geht (n)immer

Gender Mainstreaming – Strategie in Alltag und Kultur

Vom 10. bis 12. Oktober 2002 bot die ARGE Raum für intensive Auseinandersetzung zum Thema Geschlechterrollen. Gender in jeder Lebenslage vom FastfoodTheater aus München unter dem Motto: »Love me gender« sowie Konzerte von Parole Trixi und Bernd Begemann umrahmten die Tagung.

Workshops nahmen Gender Mainstreaming im Alltag, in Politik und Wirtschaft, in Vereinen/Projekten, in Kulturpolitik und Städteplanung unter die Lupe.

Das Genderquartett moderiert von Ulli Gschwandtner (Sozial- und Genderforschung) war eine Diskussion wie sie zu diesem Thema in Österreich erstmals stattfand.

Obwohl Gender Mainstreaming als neue Strategie der Gleichstellungspolitik die Geschlechterdifferenz zwischen Frauen und Männern zum Hauptthema macht, haben ausschließlich Frauen an den Workshops teilgenommen. Stellt sich die Frage: Ist GM nur ein neuer Mantel zum alten Thema der Benachteiligung von Frauen? Offenbar ist es für die meisten Männer nicht interessant, sich mit der „männlichen“ Rolle in unserer Gesellschaft zu befassen.

Nach zwei Tagen Diskussion über Geschlechterrollen waren die teilnehmenden Frauen nahe dran, die Kategorie Frau/Mann als unzureichend zu verwerfen. Führt dieses dualistische Denken nicht zu trivialen Vereinfachungen, wie Frauen von der Venus und Männer vom Mars? Gewünscht wurde eine Gesellschaft, die es ermöglicht, Vielfalt jenseits von Geschlechterkorsetten zuzulassen und zu leben.

Geschichtlicher Abriss von Gender Mainstreaming (= GM)

Mitte der 80iger Jahre wurde in den USA „managing diversity“ zum neuen Unternehmenskonzept, das davon ausgeht, dass eine multikulturell zusammengesetzte Belegschaft ein wichtiger Wettbewerbsvorteil ist. Multikulturell geführte Betriebe sind flexibler, können Marktsegmente aller ethnischen Gruppen besser erschließen. Es wird eine Win-win-Situation propagiert: Alle Beteiligten sind GewinnerInnen zum Zwecke einer „gemeinsamen“ Profitmaximierung.

Gender Mainstreaming wurde aus diesem Unternehmensführungskonzept abgeleitet und Mitte der 90iger Jahre von der EU als 3. Ansatz zur Durchsetzung von Chancengleichheit eingeführt, nach dem 1. Ansatz der Gleichbehandlungspolitik und dem 2. Ansatz der Frauenförderung durch positive Diskriminierung = Quotenregelung.

Die Geschlechterfrage sowie die Umweltfrage wurden zur Querschnittsfrage erhoben. Umwelt- und Geschlechterverträglichkeitsprüfungen sollen in allen Politikfeldern durchgeführt werden. Es wurden jedoch keinerlei Sanktionsmechanismen oder verbindliche Gesetze eingeführt, es blieb bei Absichtserklärungen.

Chancen und Risken von Gender Mainstreaming

• GM ist als Top-Down-Strategie, von oben eingesetzt. Es ist fraglich, ob GM eine Basis mobilisieren kann. GM braucht mündige AkteurInnen, um überhaupt Ungerechtigkeiten wahrzunehmen und zu benennen.

Deshalb kann GM klassische Frauenpolitik, die das Geschlechtsbewusstsein von Frauen fördert, nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

• GM ist ein expertokratischer Ansatz, ein kompliziertes und teures Verfahren, mit Erhebungen, Begleitprozessen und Evaluationen. Wie die Ergebnisse dann umgesetzt werden, ist die alleinige Entscheidung der jeweiligen AuftraggeberInnen.

• GM ist auch zu verstehen als neoliberaler Ansatz, der die Humanressource Frau verbessert nutzen will, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhöhen. Frauen in höheren Positionen werden die Gewinnerinnen vom GM sein, da es dem Image von Wirtschaftsbetrieben dient, Frauen in Führungspositionen präsentieren zu können. Die Frauen in den mittleren und unteren Hierarchieebenen sollen in eine GM-Analyse zwar einbezogen werden, da es aber keinerlei verbindliche Richtlinien gibt, bleibt offen, ob sich auch deren Situation verbessert.

Das Genderquartett vom 11. Oktober 2002 in Kürze und Würze:

Susanne Schunter-Kleemann (Wissenschaft): Alle sozialen Fragen der Frauenbewegung und deren gesellschaftsverändernde Kraft sind im Begriff von Gender Mainstreaming abgelöst zu werden. Gender Mainstreaming ist ein neoliberales Konzept, das vor allem die/den voll erwerbstätige/n Frau/Mann im Blickfeld hat.

Erich Lehner (Männerforschung) wagt zu behaupten, dass Männer mit dem Top-Down-Prinzip von GM gut arbeiten und es gerade deshalb ernst nehmen, weil es von oben eingesetzt wird.

Barbara Kraus (Performancekunst): Die Vorstellung von einem biologischen Geschlecht = sex als etwas Naturgegebenem/Eindeutigem ist ebenfalls in Frage zu stellen. Das biologische Geschlecht unterliegt Herrschaftsverhältnissen und wird in der sozialen Praxis hergestellt. Heterosexualität wird zur Norm erhoben, andere sexuelle Orientierungen Homo-, Bi-, Transsexualität werden marginalisiert.

Ingrid Nikolay-Leitner (Gleichbehandlungsanwältin): Es wäre schon toll, nicht mehr in den Kategorien Frau/Mann denken zu müssen, aber solange es eben so große Ungleichheiten gibt, ist es wichtig eine gesonderte Wahrnehmung Frau/Mann beizubehalten.