dezember 2002 - jänner 2003

Doc Holliday
kommentar

Arische Blitzlichter im Museum CA

Da möchte mir jemand einreden, dass die jüdische Minderheit eh nie mehr als ein Promille der Bevölkerung ausmacht und von den Hassern trotzdem zur Bedrohung für das Alpenland aufgebauscht wird. Das sind doch komplette Trottel, denk ich mir heimlich, grüble aber lauthals: Würde die Minderheit auf etwa neunzig Promille – wie dereinst im Wiener Schmelztiegel – anschwellen, dann muss selbst mir der tierische Judenhass einleuchten. Da ich aber eine rote Leuchte bin, verweigere ich mich jeder Promillegrenze. Nicht einmal 0,5 braucht der Alpentrachtler, und schon spritzt ihm das gewisse Etwas aus seinem Blut: Neid-Hass-Habgier. Dazu reicht aber ein einziger Mensch: der tüchtige Warenhausjude inmitten der erzkatholischen Stadt oder der theatralische Herr im verzauberten Fürstenschloss oder der fliegende Villenbesitzer im himmlischen Kapuzinerreich. Ihre Adressen druckt der Eiserne Besen. Hinter seinem Judenpranger florieren die Geschäfte unserer Tatchristen – in Ewigkeit amen! Sie erreichen tatsächlich, dass die Salzburger Juden jene winzige Rolle spielen, wie die hehre Wissenschaft in das Museum posaunt, dabei aber ihren Zeigefinger fälschlich in die Vornazizeit streckt, womit ein Promille zur gewichtslosen Minderheit wird. Oder musealisiert die Promillereiterei lauter vertuschende Blitzlichter statt heimleuchtende Geistesblitze? Der rüstige Mittelalter-Experte bibliographiert seinen kleinen Vorreiter und wischt dabei die rassentümelnde Rede anno 1939 – „Die Entjudung Salzburgs vor 430 Jahren“ – fürsorglich unter den Teppich der heimeligen Landeskunde. Doch inmitten des normalitätssüchtigen Schutzprogramms für Täter hängt die fantastische Welt der Helene von Taussig – gestorben 1942 im Lager Izbica „an Lungenentzündung“. Selbst in der Vernichtungszeit wird Normalität geheuchelt. Heute fesselt mich aber die Taussig - etwa ihr „Weiblicher Akt auf blauem Stuhl“, Inventar-Nummer 1169/88, eines jener geretteten Bilder aus der Hinterlassenschaft, die sich kein Salzburger unter seinen Nagel reißen kann. Denn unser Maler Willi Kaufmann versteckt eine Leinwandrolle der Taussig vor den Nazis, erinnert sich aber viel später – bei meinem Interview vor dem Bedenkjahr 1988. Darauf sucht Willi die Bilder im Keller des Künstlerhauses. Sein Schatz wandert ins Museum. Nach dem Tod von Willi kommen noch einige Bilder zum Vorschein, so heißt es. Fortan gehören 19 gerettete Bilder unserem Museum Carolino Augusteum – nach fünf Jahrzehnten ohne jeden Zwang arisiert und edelmütig zur Schau gestellt: Juden in Salzburg!

Diese Polemik des Salzburger Historikers Gert Kerschbaumer

wurde anlässlich der Sonderausstellung »Die geretteten Bilder« verfasst, die bis 20. Oktober 2002 im Carolino Augusteum zu sehen war. Der »kf« bringt den Text als »Rückschau«.