dezember 2002 - jänner 2003

Doc Holliday

„Gegen die liberalen Waschlappen“

Kontinuität der deutschnationalen Ideologie und der Putsch als Mittel der innerparteilichen Auseinandersetzung im Dritten Lager

Die Ereignisse rund um das Delegiertentreffen der FPÖ in Knittelfeld, die letztlich zu den Neuwahlen vom 24. November geführt haben, dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Der Ausgang der Wahlen stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Sicher ist hingegen, dass das Dritte Lager schon immer von einigen politischen Konstanten geprägt gewesen ist: Deutschnationalismus, interne Streitigkeiten, das Entfernen „liberaler Wasch- lappen“ aus Parteiämtern. Verwunderung über das Geschehen in Knittelfeld oder das Geschichtsbild Ewald Stadlers gilt also nicht. Ein Blick zurück in die Geschichte der Partei der einfachen Mitglieder, über ihre ideologischen Wurzeln unter besonderer Berücksichtigung Salzburgs.

Von den Ursprüngen im 19. Jahrhundert zum »Großdeutschen Alptraumreich«

Die Wurzeln der FPÖ reichen weit ins 19. Jahrhundert zurück. Von den deutschnationalen Studentenverbänden in der Metternich-Zeit über die Korporationen des „Sturmjahres“ 1848 geht die Linie bis zum wichtigsten Repräsentanten des großdeutschen Lagers Georg Ritter von Schönerer. Der deutschnationale Verein des späteren Hitler-Vorbilds Schönerer bildet übrigens auch die Keimzelle von Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen!

In der Ersten Republik vertraten die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund das Dritte Lager. Sie dienten vornehmlich als Mehrheitsbeschaffer für die Christlich-Sozialen (also die spätere ÖVP). In der Stadt Salzburg erreichten die „Nationalen“ bei den Gemeinderatswahlen zwischen 1919 und 1931 immer gute 31 bis 34 Prozent. Historiker attestieren dem damaligen Parteienverbund große Labilität. Ab 1931 sollte sich dies ändern: Die Großdeutsche Partei ging widerstandslos in der NSDAP auf. Offiziell lösten die Nazis die Burschenschaften mit Zwang auf. In der Realität wurden etwa 80 Prozent der Burschenschafter NSDAP-Mitglieder. Kein Wunder, erfüllte sich doch der Traum von einem Großdeutschland. Im „Völkischen Beobachter“ vom 9. Juni 1938 stand zu lesen, dass die Verbindungsstudenten diese „Auflösung“ als „keine diktatorische, sondern eine logische, weil vom Herzen diktierte Maßnahme“ begriffen.

In Salzburg hieß die Parole der Nazis Anfang der 30er Jahre übrigens, das Rathaus von den „Systemparteien“ gründlich zu säubern. Der Ausdruck „Systemparteien“ wird bis heute noch von der ehemaligen Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer verwendet (siehe die ORF-Brennpunkt-Dokumentation vom 20. 9. diesen Jahres). Riess-Passer bekleidete während ihrer Studienzeit in Innsbruck die Funktion einer Vorsitzenden des Ringes Freiheitlicher Studenten (RFS).

Es darf getrost angenommen werden, dass die als liberal geltende und von Wolfgang Schüssel über den grünen Klee gelobte Politikerin den Terminus mit seinen offensichtlichen Nazi-Konnotationen in ihrer RFS-Zeit verinnerlicht hat.

Von der VDU bis zur FPÖ

Nach der Befreiung vom Naziterror im Mai 1945 ließen die Alliierten vorerst nur drei Parteien zu: ÖVP, SPÖ und KPÖ. Die beiden Ersteren bemühten sich um die sukzessive Eingliederung der alten Nazis. Der sozialistische Innenminister Helmer förderte die Gründung einer neuen Partei, des Verbandes der Unabhängigen (VDU). Dies geschah im März 1949 in der Salzburger Frohnburg durch die Journalisten Herbert Kraus und Viktor Reimann. Salzburg, wo sich in Glasenbach auch das größte Internierungslager für die ehemalige NS-Elite befand, zählte sofort neben Kärnten und Oberösterreich zu den Hochburgen der „neuen“ Bewegung. Problemlos gelang es, in allen Stadtteilen Mitglieder zu rekrutieren. Erste Erfolge bei Landtags- und Gemeinderatswahlen Anfang der 50er Jahre wurden durch interne Richtungsstreitigkeiten zwischen Hardcore-Nazis und den Rechtsnationalen (wie Kraus und Reimann), die aber im Vergleich mit ihren Widersachern im öffentlichen Sprachgebrauch als „liberal“ galten, konterkariert. Der Niedergang des VDU war wegen persönlicher Eitelkeiten und ideologischer Differenzen nicht aufzuhalten. So erfolgte 1956 die Gründung der FPÖ, bei der auch der ÖVP-Politiker Julius Raab mitmischte. Dem ging ein Putsch (schon damals ein probates Mittel für Funktionäre des Dritten Lagers!) durch überzeugte Nazis voraus: An der Spitze stand der erste Parteiobmann der Freiheitlichen, der ehemalige SS-Brigadeführer Anton Reinthaller. Der frühere VDU-Chef Kraus sprach in diesem Zusammenhang davon, dass „die offiziellen Erklärungen der FPÖ von „Absage an den Extremismus“ und „Partei der Mitte“ dem Bedürfnis nach einer sehr notwendig gewordenen Tarnung entspringen“. Bei dem ehemaligen Chefideologen der FPÖ der 90er Jahre und Herausgeber der rechtsrechten Postille „Zur Zeit“, Andreas Mölzer, klingt das so: „Die Gründungsgeschichte der FPÖ darf nicht mit den Augen der Political Correctness von heute gesehen werden.“

In Salzburg konnte sich die FPÖ (wie vorher der VDU mit stramm nationalem Kurs) nach ihrer Gründung bei den folgenden Wahlgängen – im Gegensatz zur Bundesebene – erfolgreich behaupten. Ab Mitte der 60er Jahre dominierten einmal mehr interne Zwistigkeiten.

Auf dem Innsbrucker Parteitag 1986 kam es zum nächsten Putsch: Der ehemalige Schlagende Burschenschafter und Gauturnredner Jörg Haider (Thema: „Sind wir Österreicher Deutsche?“ – die Antwort lautete wenig überraschend: ja natürlich!) stürzt mit Hilfe der Deutschnationalen den als liberal geltenden Norbert Steger. („Liberaler“ wurde man in der FPÖ, wenn man sich bei SS-Veteranentreffen „krankheitsbedingt“ entschuldigen ließ.)

Elitenrekrutierung und Deutschnationalismus

Zu Beginn der ÖVP-FPÖ-Regierung hielten sich getreu dem alten „tarnen und täuschen“-Motto die deutschnationalen Ideologen weitgehend zurück. Freilich bekamen immer mehr Burschenschafter und RFSler wichtige Funktionen bei den blauen Ministern. Bisweilen konnten sogar ehemalige Aktivisten von offen neonazistischen Gruppen wie der in den 80er Jahren verbotenen Aktion Neue Rechte (ANR) in staatstragende Positionen befördert werden. Ex-Sozialminister Herbert Haupt machte etwa den FPÖ-Bezirksrat und früheren ANR-Kader Reinhard Brand zum Leiter der Abteilung für Beschaffungswesen. Gerade die ANR sorgte 1980 bereits für Aufsehen in der Mozartstadt. Damals kandidierte Norbert Burger von der Nationaldemokratischen Partei (NDP), ein militanter Burschenschafter, „Südtirolbumser“ und ehemaliger Bundesvorsitzender des RFS sowie Ex-FPÖ-Mitglied, für das Bundespräsidentenamt. Bei einer Wahlveranstaltung im Müllner Bräu ließ sich Burger von der ANR „schützen“. Die Rechtsradikalen gingen mit Feuerlöschern und Schlagstöcken gegen antifaschistische Gegendemonstranten vor. Bei einer späteren Kundgebung am Alten Markt, die ebenfalls in Schlägereien ausartete, traten auch Burschenschafter in Aktion. Zumindest verbal unterstützten damals Teile des Salzburger RFS und RFJ die Politik des Norbert Burger. Jedermann, der nicht mit Taub- und Blindheit geschlagen war, konnte dies im RFS-Studentenheim in der Egger-Lienz-Gasse allabendlich an der Bar lautstark vernehmen. Mitunter schmetterten die Jungrecken zu später Stunde gar das „Horst-Wessel-Lied“ Richtung sozialdemokratischem „Humboldt-Heim“. Manche Ideologen machten auch später keinen Hehl aus ihrer Weltsicht: Das Porträt des Ex-RFSlers Franz Spitzauer im »kf« vom Mai 2000 offenbart seine treu-deutschnationale Gesinnung an Hand von Artikeln, die er für die vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem qualifizierte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ verfasste. Andere – wie der langjährige Vorsitzende des Salzburger RFS und RFJ, Andreas Schöppl – halten sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurück. Im Zuge einer modernen Arbeitsteilung – oder geht es um das alt bewährte Tarnen und Täuschen? – erledigt das der Dobermann und seine Kampfhundgehilfen, die sich derzeit vorwiegend aus Kärnten, Wien und Niederösterreich rekrutieren. Nach der mehr als wahrscheinlichen Wahlniederlage der FPÖ sollte sich zeigen, dass der angekündigte völlige „Neubeginn“ der Partei – genau wie ihre Strategien, Themen und Ideologien – schon längst bekannt (und überholt) sein müsste.