dezember 2002 - jänner 2003

Hans Lindenbaum
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»Mozart«, München, Milliarden

Bei der Bahn kommt die Reisekultur unter die Räder

1992. An Arbeitstagen erreichen 28 Reisezüge aus dem Ennstal Bischofshofen. Sie teilen sich den Bahnhof, im Wesentlichen ein Bau aus 1909, mit jenen der Strecke durch das Salzachtal. Weil es zu Knotenzeiten eng wird, bauen die ÖBB um rund 60 Millionen Euro um.

2002. Die Bischofshofener Bahnhofsoffensive geht dem Ende zu. Doch nun fahren von Montag bis Freitag nur mehr 17 Züge aus Graz, Schladming und Radstadt in die High-Tech-Station ein. Die Zahl der Halte im Nord-Süd-Verkehr ist gleich geblieben. Bis zu 400 Meter lange Bahnsteige stehen (wie auch im umgebauten St. Valentin und Stainach-Irdning) leer wie der Parkplatz eines Einkaufszentrums am Sonntag.

Einer der Züge, die Bischofshofen nicht mehr passieren, ist der „Flügelzug“ des Eurocity Mozart. Der fuhr, aus Paris kommend und in Salzburg abgekuppelt, nach Graz. Allerdings nur bis 2001.

Wien mit Paris verbindet dieses Flaggschiff unter den Fernzügen mit dem Namen des großen Sohns der Stadt Salzburg nur noch wenige Tage. Ein Mosaikstein des Tourismus-Marketing fällt weg. Und für Kulturbeflissene eine gedankliche Brücke zu Mozarts halbjährigem Pariser Aufenthalt im Jahr 1778. (Während dessen stirbt seine ihn begleitende Mutter; er versucht vergeblich, in der Metropole Fuß zu fassen.)

„Der Mozart“ ist eine Ikone. Er verknüpft nach Kriegsende im Auftrag der „US Forces in Austria“ den amerikanisch besetzten Sektor in Wien mit den US-Zonen in Oberösterreich, Salzburg und Bayern. Der „Offizierszug“ muss von den ÖBB stets mit neuen Lokomotiven, bemalt mit großen „Stars and Stripes“, bespannt werden und hat exterritorialen Status – vor allem auf der Etappe durch die Zone der Sowjets in Niederösterreich von Bedeutung. Bis zu seiner letzten Fahrt am 20. September 1955 befördert der „Ami-Zug“, dem irgendwann der Kosename „Mozart-Express“ zugewachsen ist, 750.000 Passagiere.

Umsteigen in München

Ab 15. Dezember verkommt „Mozarts“ Reise zur Destination Wien–München. „Umstellungen im deutschen Bahnverkehr machen einmaliges Umsteigen in München nötig“, lassen die ÖBB wissen. Dabei sei „nicht einmal ein Bahnsteigwechsel nötig“. Und die Passagiere schaffen die rund 13-stündige Fahrt nach Paris „sogar um 17 Minuten schneller“. (Man sieht: „Bahn wirkt.“)

Wohl ein Schelm, wer daran denkt, dass man kurz vor München in den Mantel schlüpfen, das Gepäck durch den Waggon tragen, aussteigen, einsteigen, einen Platz suchen und wieder alles verstauen muss.

Die Verkehrswissenschaft belegt, dass der Zwang zum Umsteigen eines der gewichtigen Argumente gegen eine Bahnfahrt ist.

„Ich betrachte dies als Anschlag auf unsere Bemühungen“, sagt laut „Wiener Zeitung“ der Oberbürgermeister von Karlsruhe, Heinz Fenrich. Er ist Vorsitzender der Lobby-Gruppe „Magistrale für Europa“. Diese bemüht sich, den Schienenweg Paris–Budapest über Nancy, Strasbourg, Karlsruhe, Stuttgart, Augsburg, München und Wien attraktiver zu machen. Mit neu entstehenden Bahntrassen in Ostfrankreich, Bayern und Ostösterreich.

Magistrale mit Mäandern

Stillstand dagegen beim Ausbau der Strecke München–Mühldorf am Inn– Salzburg. Im Salzburger Flachgau wiederum haben die Siedler in Seekirchen und Straßwalchen mit ihrem Aufstand gegen die „Horrortrasse“ im Herbst 1999 und damit kurz vor einer Nationalratswahl Landeshauptmann Franz Schausberger (ÖVP) und die damals ressortzuständige Gabi Burgstaller (SPÖ) nachhaltig das Fürchten gelehrt. Mit der Folge, dass Land, ÖBB und Zivilingenieure seit drei Jahren versuchen, physikalische Gesetze – wo ein Zug ist, kann kein zweiter sein – auszutricksen.

Verkehrsminister kommen und gehen. Die Politik verliert den Mut, handelt es sich nicht um Autobahnen und Straßen, sondern um Schienenwege. Schwerfälligen verarmten Bahnunternehmen fehlt die Courage, mit offenen Grenzen zu agieren: Sie verharren wie seit 150 Jahren beim Territorialprinzip.

1860 Wien–Paris direkt

Im Sommer 1860, als Kaiserin-Elisabeth-Bahn und königlich bayerische Maximilians-Bahn in Salzburg verbunden werden, herrscht im Zeichen des Obrigkeitsstaates auf den Perrons ein strenges Polizei-, Zoll- und Bahn-Regime. Zwischen 1933 und 1938 ist „Salzburg Reichsbahn“ eine nationalsozialistische Enklave in der Stadt, deren Nazi-Bahnhofsvorstand den Parteigenossen den (heldenhaften) „Dienst an der Reichsgrenze“ rapportiert. Dann sieben Jahre großdeutsches Volksgenossentum mit anschließendem Begegnungsverbot auf alliierte Anordnung. Schließlich Entfall der Gepäcks- und später auch der Personenkontrollen unter dem Schirm der Europäischen Union.

Und heute? „Salzburg Hbf“ ist ohne Notwendigkeit Eisenbahn-Schnittstelle. Ab Mitte Dezember 2002 heißt das zum Beispiel: Sieben Mal am Tag kann man, tut sich das jemand an, mit einem Intercity-Zug der ÖBB aus Richtung Wien anreisen, in Salzburg Bahnsteige entlang hastend umsteigen und Richtung München mit dem Intercity der Deutschen Bahn weiterfahren. Just während Bahnleute des Overheads diesem teuflischen System den letzten Schliff geben, sagt bei einem Kongress im Oktober Hartmut Mehdorn, Chef des DB-Konzerns, man müsse die „nationale Kleinstaaterei rasch überwinden“.

Abstellgleis für Große Züge

Zug um Zug geben die europäischen Bahnen die klassischen Fernzüge auf. Billigflügen stehen nachrangig behandelte teure Reisen in jahrzehntealten und heruntergekommenen Waggons gegenüber. Deren Fahrgäste empfangen mitunter unübersichtliche und schmutzige Bahnhöfe, in Salzburg ein riesiger Taubenschlag.

Trotz „Transitwahnsinn“ und „Verkehrshölle“ auf den Straßen wursteln die Eisenbahnen dahin. Jedes Bahnunternehmen eines EU-Staates hat eine eigene Unternehmensphilosophie, die – bislang – an den Binnengrenzen Halt macht: Die britischen Bahnen sind, dank Margret Thatcher, fragwürdig-filmreif („The Navigators“); der Pendlerverkehr der niederländischen Bahn übersteigt die Zumutbarkeit; der Mammut-Konzern Deutsche Bahn hängt am Tropf der großzügigen Förderung des Schienennahverkehrs durch die öffentlichen Hände und macht sich beim verbliebenen Güterverkehr inzwischen lächerlich.

Performance statt Service

Die ÖBB leisten sich auf der Suche nach einem Profil alle paar Jahre einen Paradigmenwechsel. 1991 prahlt Generaldirektor Heinrich Übleis mit stündlichen Speisewagen durch die Gebirgsgaue und das anschließende Tirol – doch die Küche bleibt mangels Bestellungen kalt. Nachfolger Helmut Draxler sagt ein paar Jahre später, die Fahrgäste sollten mit seinem Rumpf-Angebot zufrieden sein, denn am liebsten betreibe er nur noch Güterzüge. Nun räumt der neue Bahn-Chef Rüdiger vorm Walde ein, man habe Kundinnen und Kunden vergrault und verspricht Besserung. Äußeres Indiz: Waggons werden umlackiert, eine andere Werbeagentur wird engagiert. So hält es auch die DB beim Wechsel des Vorstandsvorsitzenden.

Es ist, als erkläre sich die Hamburger-Kette zum vegetarischen Bio-Restaurant, um ein paar Jahre später doch wieder zu den fetten Fleischlaiberln zurückzukehren.

In deutschen Nischen taucht die Eisenbahn-Tochter des Pleite gegangenen Vivendi-Konzerns auf, überrascht Kunden mit originellen Angeboten und Politiker mit niedrigen Gestehungspreisen. Sind es bloß Lockvogel-Angebote von börsennotierenden Konzernen oder ist es der Beweis, dass verbummelte Beamten-Bahnen jahrzehntelang viel zu teuer produziert haben?

Wie „dem Auto Urlaub gönnen“?

Die Abkehr von einer Ferienreisekultur in der Form grenzüberschreitenden Zugverkehrs droht österreichische Urlaubsregionen abzukuppeln: Tendenziell finden sich weder Bahnunternehmen noch Reiseveranstalter, die mit so genannten Turnuszügen Gäste aus den Benelux-Staaten und Norddeutschland umsteigfrei nach Kärnten, Salzburg und Tirol bringen.

Wer wie die beiden Touristik-Orte Bad Hofgastein und Werfenweng „Urlaub ohne Auto“ propagiert, muss Besuchern allerdings eine plausible Transportkette anbieten. Dass „sanfte Mobilität“ in der Palette der Angebote ihren Platz hat, zeigt Werfenweng: Kamen vor drei Jahren zehn Prozent der Erholung Suchenden ohne Auto, ist es nun schon jeder vierte Gast.

3,48 Milliarden Euro fließen heuer, so eine kürzlich angestellte Rechnung in Radio Ö 1, aus Steuergeld an die Bundesbahnen, zählt man die Aufwendungen für Bahn-Pensionen, Infrastruktur, gemeinwirtschaftliche Leistungen und Schülerbeförderung zusammen. Ironischer Nachsatz des Radio-Redakteurs: Dafür könne man 24 Abfangjäger kaufen. Jährlich.

Zum Thema: Freie Bahn der Straße. Auch im Land Salzburg kommt der Schienenverkehr mit Verspätung in Fahrt. In: Dachs/Floimair (Hgg.):

Salzburger Jahrbuch für Politik 2001. Wien 2002, Böhlau-Verlag.