oktober-november 2002

Wiglaf Droste

Groß und cool und sexy

Lee Hazlewood auf Europatournee

Es beginnt um 20 Uhr 30 und endet um 22 Uhr, und während dieser 90 Minuten nimmt Lee Hazlewood die Baseballkappe und die Sonnenbrille nicht einmal ab. Nichts daran wirkt affig oder affektiert – der Mann ist jenseits aller Blenderei. Hazlewood ist 73, für 13 Tage ist er mit seinen fünf Begleitmusikern von den »High Llamas« auf Tournee in Europa, Berlin ist seine sechste Station. Abends zuvor war er in Hamburg, von wo Michael Bugmann berichtet: „Sehr schön, leider ein unwürdiger Ort (Fabrik) und zuviel Geschwatze von biertrinkenden Männern.“

Das ist am 14. September im Berliner Schillertheater anders: Alles sitzt gut und sieht gut, man ist vorfreudig gespannt und glücklich, dass der große alte Mann es auf sich nahm, noch einmal live anzutreten und das Glück wirklicher Unabhängigkeit und Coolness zu verströmen. Finanziell nötig hat er das nicht, dem öffentlichen Ruhm zog er immer vor, seine Ruhe zu haben, und doch ist er da. Er selbst sagt in einem Interview, er habe in dieser Sache einmal sein Wort gegeben, nun sei er eben dran.

Unprätentiös betritt die Band die Bühne und beginnt zu spielen, Lee Hazlewood singt, noch unsichtbar hinterm Vorhang. Dann kommt er vor, etwas stakselbeinig, und die Zeile „Be glad I never owned a gun“ klingt von diesem Mann nicht angeberisch. Lee Hazlewood weiß um die Dinge, und er ist nicht leicht zu beeindrucken. Am Ende der bejubelten Songs sagt er mehrmals trocken „That's it“, und seine Ansprache ans Publikum ist ebenfalls angenehm lakonisch: „So this is Berlin – all right.“

Hazlewood setzt sich auf einen Barhocker am Bühnenrand, die Band ist ganz im Hintergrund. Ein paar seltsame Songs werde er singen, auch ein paar obszöne, erklärt er, „My autumn's done come” und „The girls in Paris“ folgen. Hazlewood sitzt auf dem Hocker, seine Hände patt-patten lässig auf seine Oberschenkel, die große tiefe warme Stimme ist erstaunlich da und präsent. Ob er singt oder spricht, das Publikum ist im Bann der Stimme, und das liegt nicht nur am Timbre. Der Mann schreibt und produziert seit knapp 50 Jahren Songs, die unter die Knochenhaut gehen, und das tut er inmmer noch. Die Stücke von der neuen CD „For every solution there's a problem“ stehen seinen alten Hits nichts nach. Es ist wie mit Leonard Cohen und Johnny Cash auch: Das Alter macht Lee Hazlewood sogar noch besser. Er sucht nicht, er findet die richtigen Worte, auch für Stimmungen, die andere gerne verschweigen: „Like all God's promises are broken / like dying on Christmas Day before all gifts are open.“

„For my birthday“, das elfte und letzte Stück der neuen CD, hat von der Plattenfirma einen Sicherheitsabstand verordnet bekommen: Erst 60 Sekunden nach Track 10 ertönt der Wunsch nach einem „P.O.A.“ und einem „B.J.“, also nach einem „pear or apple“ und einem „blue Jaguar“, wie Hazlewood mit gespielter Unschuld in den Linar Notes zur CD schreibt. Die letzten Zeilen im Booklet lauten: „If those letters keep me out of heaven – then I don't want to spend eternity there anyway ...“ Die Plattenfirma indes verstand, was mit „P.O.A“ und „B.J.“ gemeint war: a pair of apples und ein blow job. Gern hätte er dieses Lied für President Clinton gesungen, erzählt Hazlewood – bei dessen Nachfolger sei das zwecklos, dem müsse man eine schriftliche Instruktion mitliefern, damit er ahne, worum es gehe. Nichts daran ist anzüglich, schlüpfrig oder altherrengeil – hier verspottet ein lebensweiser Hedonist mit mildem Zynismus den Puritanismus, diese fiese Mischung aus privater Selbstverstümmelung und öffentlicher Heuchelei.

Als Hazlewood den Namen Nancy Sinatra erwähnt, hebt ein Gejohle an im Theater, auf das Hazlewood „So long, babe“ folgen lässt. Dann spielt er es aber doch, das Lied, auf das viele gewartet haben: „These boots are made for walkin'“. Hazlewoods Ansage hat Größe: „Most people in the world think this is the only thing I've written“ – aber er und auch dieses Publikum wüssten es zum Glück besser. Es folgt eine krachig scheppernde, vom Original erfreulich weit entfernte Version, und dann sagt Lee Hazlewood: „Thank you, Berlin.“

Als er zur Zugabe zurückkommt, macht er sich auch über dieses Ritual lustig: Er wisse ja, dass er wiederkomme, und das Publikum wisse, dass er das wisse, aber nun, so sei das eben. Es gibt eine wunderbar abgehangene Fassung von Jerry Lee Louis' „Whole lotta shakin' goin' on“, ein Stück, das laut Hazlewood eben kein Rock'n'Roll-Song sei, sondern ein „love poem“, und „Jerry Lee whatwashisname ...“ habe das ganz falsch gemacht. Dann spricht er „shake, baby, shake, shake those ..., shake, we ain't fakin'“, es ist ein langsam reitender, wonniger Akt, und wieder ist nichts Altherrensexmiefiges an Hazlewood. Hier ist ein Mann, der zu leben wusste und weiß und der in den USA deshalb notorisch als Troublemaker angefeindet wurde.

So beeindruckend ist Hazlewoods Auftritt, dass sogar die rucki-zucki-haften Stück-Mitpatscher egal sind, die sich am Ende leider doch noch trauen und für die – weltweit – die Regel gilt: Mitklatscher sind wie Mitesser, nur dass man sie leider nicht ausdrücken kann. Lee Hazlewood winkt und geht, ein unabhängiger, freier Mann – und damit eine echte Ausnahme in der freien Welt.