september 2002

gehört

Musik

The Dirty Dozen Brass Band

Medicated Magic

Ropeadope Rec./Rykodisc, 2002

Eine New Orleans-Institution feiert ihr 25-jähriges Bestehen: die aus neun Musikern (sechs Bläser, Keyboarder, Gitarrist und Schlagzeuger) bestehende Dirty Dozen Brass Band begeht das Jubiläum würdig und stilvoll. Mit der Neueinspielung von zehn Klassikern (u. a. von Professor Longhair, Dr. John, The Meters) aus der Musikgeschichte der alten Sklavenmetropole. Unterstützt werden die Jazz-Funk-Traditionalisten mit dem heißesten Sousaphon öst- und westlich des Mississippi dabei etwa von Olu Dara, John Bell von Widespread Panic, Dr. John (der nicht seinen eigenen Voodoo-Hadern „Walk On Gilded Splinters“, sondern das programmatische „Everything I Do Gon` Be Funky“ und die Mardi Gras-Hymne „Big Chief“ interpretiert) und DJ Logic. Eine erhabene Platte, die jeder gute Doktor vorbehaltlos zur inneren wie äußeren Anwendung empfehlen kann.

Doc Holliday

Primal Scream

Evil Heat

Columbia, 2002

Das achte Album der britischen Band, die wie keine zweite eine Melange aus den besten Rock- und Electro-Elementen anstrebt: Das Eröffnungsstück „Deep Hit Of The Morning Sun“ paraphrasiert hypnotisch-schwebenden Krautrock. Genau wie das herrlich betitelte „Autobahn 66“, das auf dem Weg in die Hölle Kraftwerk und Neu! mitnimmt.

Überhaupt diese Titel: „Miss Lucifer“ (mit Giorgio Moroder-Beat), „Detroit“ (DAF am Autofließband), „The Lord Is My Shotgun“ (dunkler Mutanten-Blues mit Robert Plant am Fotzhobel), „Skull X“ (Dylan und die Stones auf Speed), „A Scanner Darkly“ (in Enos 70er Soundgewand), der Lee Hazlewood-Klassiker „Some Velvet Morning“, die Gospel-Ballade „Space Blues #2“ und als Höhepunkt die Iggy/Stooges-Hommage „Sick“, die in anderer Form bereits von der grandiosen David Holmes-CD „Bow Down To The Exit Sign“ bekannt ist.

Nicht zu vergessen der Polit-Rocker »Rise«, der vor dem 11. September »Bomb The Pentagon« hieß.

Doc Holliday

QUEEN OF JAPAN

Head Rush

Echokammer

Bands, die sich nur auf Coverversionen ver- und einlassen haben bekanntlich meist eher geringe Halbwertszeiten. Nur entwindet sich das zwischen Bodensee, München und Wien angesiedelte Trio (mit einem gewissen Hans Platzgumer als Jo Ashito) diesen Fallstricken beinahe mühelos. Zwar wird hier Synthie-Core/Electro-Trash nicht neu erfunden, dafür werden Lieblingstücke aus vergangenen Disco-Kellertagen auf Herz und Nieren durchgeschüttelt und mit deutlichem (Karaoke-)Fan-Bewusstsein glamourös trashologischen Dauerbelastungstests unterzogen.

Das reicht von »I Was Made For Loving You« (Kiss) über die Sex-Trilogie »Do You Think I'm Sexy« (Rod Stewart), »Sexual Healing« (Marvin Gaye) und »I'm Too Sexy« (Right Said Fred) bis hin zum gerade von Pop-Sternchen Britney Spears als Art Erwachsenwertungs-Vehikel (inklusive Motorrad und Leder-Outfit) komplett missverstandenem »I Love Rock'n'Roll« von Joan Jett. Klar ist die Queen Of Japan-Version besser, weil hier auch gewusst wird, worüber gesungen wird. Endgültig kultverdächtig wird es aber mit dem Cover von »Zieh mich aus«, dem dritten Hit (nach »Tu es« und »Willst du mit mir schlafen gehen?«) der legendären Linzer Disco-Göttin Gilla.

Echte Jukebox Heroes!

Didi Neidhart

DISKA

America's The Bomb

Echokammer/Indigo

Kann über den 11.9.2001 und die Folgen schon gesungen werden? Neil Young hat’s pathetisch probiert, Bruce Springsteen wird mit „The Rising“ wohl auch wieder gegen rechte Vereinnahmungsversuche kämpfen müssen. Als gänzlich radikal differenzierte Alternative empfiehlt sich hier das Münchner Duo Diska mit seinem trashigen Atari-Electro-Boogie-Bastard-Punk. Das reicht von einem mit gesampelten Sex Pistols-Riffs (»Pretty Vacant«) losstartendem Clash-Cover (»I'm So Bored With The USA«) bis hin zum »Moroder Hardcore« und der Losung »Pogo No Logo«. Politischer und politisierender Pop-Situationismus im Geiste des gleich zu Beginn rezitierten Guy Debord-Zitats aus dessen Manifest »Gesellschaft des Spektakels«.

Didi Neidhart