september 2002

Georg Wimmer

Von Seattle nach Salzburg

Im unabhängigen Medienzentrum in der ARGE finden JournalistInnen die Infrastruktur für eine alternative Berichterstattung rund ums WEF

Erinnert sich noch jemand an den Weltwirtschaftsgipfel in Köln, als 40.000 Menschen friedlich gegen die Politik des Großkapitals demonstrierten? Große mediale Aufmerksamkeit wurde ihnen nicht zuteil. Fünf Monate später, im November 1999, gingen in Seattle genauso viele Menschen für dieselben Ziele auf die Straße, es kam zu schweren Ausschreitungen. Die Folge: Seattle ging als Geburtsort der globalisierungskritischen Bewegung in die Geschichtsbücher ein. Eine von vielen Legenden, die um die Globalisierungskritik gestrickt wurden. Seattle gebührt aber jedenfalls das Verdienst, dass rund um diese WTO-Tagung einer neuen Medienkultur zum Durchbruch verholfen wurde.

In Seattle schufen JournalistInnen aus verschiedenen Projekten erstmals ein unabhängiges Medienzentrum. Die englische Bezeichnung Independent Media Center (IMC) gab den Anstoß für die Wortschöpfung »Indymedia«, das heute weltweit als Zentralorgan der globalisierungskritischen Bewegung gilt. »Indymedia« gibt es inzwischen in rund 70 Ländern, von Australien bis Zimbabwe. Möglich wurde dies durch das Internet. Während der WTO-Proteste erreichte »Indymedia«-Seattle nach eigenen Angaben sagenhafte 1,5 Millionen Zugriffe. Das Prinzip klingt einfach: Unter dem Slogan „Be the media“ soll das Feld der Berichterstattung nicht nur den so genannten Profis überlassen werden. MitarbeiterInnen von »Indymedia« sehen sich im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit selbst als Ergänzung und Alternative zu den herkömmlichen Medien. Dabei betrachten sie aber nicht alle Grundregeln des Journalismus als verbindlich: Ob jemand Journalist oder Aktivist sei, müsse jede/r für sich selbst entscheiden, heißt es salopp auf der Website von »Indymedia«-Seattle.

Unabhängige Medienzentren begleiteten in der Folge alle großen Tagungen von Weltbank, Weltwährungsfonds oder G8. Sofern diese Treffen nicht gerade in den kanadischen Wäldern oder in Diktaturen à la Quatar stattfanden, waren MitarbeiterInnen von »Indymedia« oder anderen freien Medien vor Ort und verbreiteten eine Sicht der Dinge, die sich nicht immer mit jener der traditionellen Medien deckte. Den Polizeikräften in Genua war eine solche Berichterstattung Anlass genug, um das Medienzentrum zu stürmen, die Einrichtung zu zertrümmern und Dutzende Personen krankenhausreif zu prügeln.

In Salzburg wurde letztes Jahr ein Journalist aus dem Bus gezerrt und seine Videobänder gelöscht. Das Medienzentrum, das im Kulturgelände Nonntal untergebracht war, blieb aber von der Polizei unbehelligt. Gekommen waren rund 50 JournalistInnen aus den USA, Kanada, Dänemark, England, Deutschland und Österreich. Für Waltraud Rettenbacher, damals Projektleiterin, war Salzburgs erstes unabhängiges Medienzentrum somit „richtungsweisend für die Vernetzung von freien Medien“. Da frisch produzierte Radiobeiträge von einer Website heruntergeladen werden konnten, wurde zudem ein neuer Maßstab in Sachen Aktualität bei den Freien erreicht. »Subnet« und »Radiofabrik« – damals noch ohne eigene Frequenz – machten drei Tage lang Radio im Internet. Als die Demo in der Wolf-Dietrich-Straße eingekesselt wurde, schalteten sich Anrufer aus dem Kessel live in die Sendung ein und sorgten so für eine authentische Berichterstattung. Das Internetradio erzielte an diesem Tag mehr als 1200 Zugriffe.

Auch heuer sind alternative JournalistInnen aus aller Welt eingeladen, nach Salzburg zu kommen. Das unabhängige Medienzentrum wird wieder in der ARGE untergebracht sein. Geboten wird Infrastruktur von Arbeits- und Schnittplätzen für Radio und Video über Internetanbindung bis hin zum Fotolabor. Ziel ist es, wiederum den Beweis zu erbringen, dass Nachrichten mehr sein können als nur eine Ware, die ver- und gekauft wird. Die »Radiofabrik« wird diesmal auf der Frequenz 107,5 Mhz live vom Alternativgipfel, von der Demo und vom »Goblal Village Project« im Volksgarten berichten können. Und von der Website des Medienzentrums können sich auch alle Interessierten außerhalb von Salzburg aktuelle Infos runterladen.

Einzige Einschränkung: Die Fotos und Berichte dürfen nicht kommerziell verwertet werden.

Webtipps:

http://www.indymedia.org

http://www.imc.subnet.at