september 2002

Georg Wimmer
titel

Eine andere Welt im Volksgarten

Kultur bei freiem Eintritt und Aktionen im öffentlichen Raum: Mit dem »Global Village Project« möchte das »Salzburg Social Forum« zeigen, was normal sein kann

An die 4.000 PolizistInnen, die mitsamt ihren Rüstungen zu zehnt in Zelten schlafen müssen und am nächsten Tag übel gelaunt in den Dienst kommen, wären sicher die schlechtere Alternative. Aber die Sache mit den Schlafplätzen hat beim »Salzburg Social Forum« (SSF) doch einigen Unmut ausgelöst. Seit Monaten sind sämtliche Jugendherbergen zwischen Salzburg und St. Martin am Tennengebirge ausgebucht, weil in den Kasernen des Bundesheeres angeblich zu wenig Platz ist. Da wird es sicher schwer, die vielen Leute von auswärts unterzubringen, ärgert sich Sabine Auer vom SSF: „Normalerweise gilt die Regel, dass Personen mit einem Jugendherbergsausweis den Vortritt haben.“ Doch was wird schon normal sein an diesem Wochenende? Wer im Thesaurus nach Entsprechungen für »normal« sucht, findet Begriffe, die sich auf Salzburg im Herbst 2002 kaum anwenden lassen werden. »Normal« heißt soviel wie „alltäglich, durchschnittlich, gesund, gewöhnlich, üblich, vernünftig, vorschriftsmäßig, zurechnungsfähig, ...“

Als »normal« geht der Zirkus rund ums WEF nach den Erfahrungen des Vorjahres allenfalls dann durch, wenn »normal« in Sinne von »regelmäßig« verstanden wird – und wenn das WEF seine Drohung wahrmachen sollte und Salzburg bis 2006 einmal im Jahr heimsuchen wird. Offiziell werden zur Demo für eine andere Weltwirtschaftsordnung am Sonntag, dem 15. September, 2000 TeilnehmerInnen erwartet. Insgeheim hoffen die VeranstalterInnen aber wohl auf mindestens doppelt so viele. Neben Barcelona, wo anlässlich des EU-Gipfels im Mai rund 300.000 Menschen auf die Straße gingen, steht in diesem Jahr mit dem WEF in Salzburg europaweit nur noch ein Event an, auf das sich die globalisierungskritische Bewegung fokussieren kann. Wie viele letztlich kommen werden, hängt auch davon ab, wie weit die Menschenrechte an diesem Wochenende Gültigkeit haben oder ob sie beispielsweise bereits am Walserberg außer Kraft gesetzt werden. Stichwort: Reisefreiheit.

Wer nach Salzburg (rein)kommt, soll das nach den Plänen des SSF jedenfalls nicht bereuen. Unter dem Titel „Global Village Project“ wird ein mehrtägiges Kulturprogramm geboten, wie es diese Stadt noch nicht erlebt hat. Im Zentrum steht dabei der »Volxgarten« mit zwei Bühnen und einem großen Zelt. Zum Open-Air im Anschluss an die Demo haben sich u. a. die englischen Politrocker Chumbawamba, Sensual Love, Deadzibel, Texta und die Querschläger angesagt. Dass die Bands zu einem Zeitpunkt auftreten, an dem das öffentliche Leben von roten und gelben Zonen, von Sperrgittern und Personenkontrollen dominiert wird, betrachtet Sabine Auer als integralen Bestandteil des Konzeptes: „Wir wollen in einer Stadt, die durch strukturelle und tatsächliche Gewalt zu einer »Location« für einen Privatverein degradiert wird, Freiräume schaffen, in denen GlobalisierungskritikerInnen, Bevölkerung und Medien über die Inhalte der Globalisierungskritik kommunizieren können.“

Das Open-Air ist ein Teil des »Global Village Projects«, ein weiterer sind Schwerpunktveranstaltungen in Salzburger Kulturstätten, im »Das Kino«, im »Literaturhau«s oder im «Studio West«. Drittens beinhaltet das Projekt Vorträge und Diskussionen. Und viertens gibt es Aktionen im öffentlichen Raum. Laien sollen dazu genauso beitragen wie bekannte KünstlerInnen wie etwa Andreas Siekmann, der heuer schon auf der Dcoumenta in Kassel ausstellte. Zudem sollen auch Gewerkschaften oder die Lebenshilfe den öffentlichen Raum nützen. Die Beiträge müssen aber nicht unbedingt Aspekte der Globalisierung thematisieren. Das Projekt, so der Anspruch, soll an sich bereits Forderungen der Globalisierungskritik ausdrücken, etwa jene nach Demokratie, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit oder Frieden. Kein leichtes Unterfangen. In einer Stadt, wo jeder Straßenmusiker ohne Genehmigung vom Fleck weg verhaftet wird, muss beispielsweise jede noch so harmlose Aktion der Volxtheaterkarawane zum Testfall für eben diese Forderungen geraten.

Andererseits muss das SSF auch mit Kritik aus dem Lager der GlobalisierungskritikerInnen rechnen – so paradox das klingen mag. Und das, obwohl das SSF das «Global Village Project« ausdrücklich nicht als Propagandainstrument mit Alleinvertretungsanspruch sieht, sondern bloß als Organisationsplattform bei der jede/r mitmachen kann. Doch selbst dieser Anspruch geht einigen zu weit. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Grund: „Es gibt keine Organisationsform, die die Unterschiedlichkeit der Wünsche und die Bedürfnisse der Protestbewegung ausdrücken könnte“, konstatiert Robert Foltin in einem Aufsatz in der Zeitschrift der IG Kultur.

Die Vielfalt der TeilnehmerInnen an einer globalisierungskritischen Demonstration, so Foltin, sei nicht mehr repräsentierbar. Sie werde nur durch den herrschenden Diskurs in eine überschaubare Ordnung gebracht, die wie folgt ausschaut: Da gibt es die AnsprechpartnerInnen der Herrschenden – die „Vernünftigen“ – aus den Nicht-Regierungsorganisationen. Dann sind da die verschiedenen linken und linksradikalen Gruppen, die davon träumen, die Massen zu repräsentieren. Und vorneweg marschieren die Nicht-Ansprechbaren, die von Polizei und Medien als „schwarzer Block“ gedacht werden. In einem Internetforum der weit links angesiedelten Anti-WEF-Koordination wird bereits die Ansicht verbreitet, dass „das Salzburg Social Forum, ATTAC und andere reformistische Gruppen im Dialog mit dem WEF den Kapitalismus nur sozialer gestalten wollen“, statt eine ordentliche Revolution zu machen.

Einigkeit herrscht immerhin darin, dass in Salzburg der öffentliche Raum mit kreativen Mitteln besetzt werden soll. Sogar die Linksextremen wollen angeblich von machomäßigen Straßenkampfritualen früherer Tage abrücken. Angesagt sind heuer hingegen karnevalsähnliche Spektakel, so genannte »Pink-Silver-Aktionen: Frauen und Männer ziehen sich rot-rosa-silber an und verstärken „aus Protest gegen die Geschlechternormierung“ die weiblichen Attribute, während zu Sambarhythmen gegen die Polizei angetanzt wird. Könnte lustig werden.

Eine Provokation ganz anderer Art hat sich das »Salzburg Social Forum« ausgedacht. Da es die Ansicht vertritt, dass Protestkultur keine Ware sein darf, sondern einen gesellschaftlichen Wert darstellen muss, sind alle Veranstaltungen im Rahmen des »Global Village Projects« im »Volxgarten« für BesucherInnen kostenlos. Möglich sei das, weil sämtliche Bands gratis auftreten und an die 100 AktivistInnen – von Organisation über Technik bis hin zu Kinderbetreuung und Security – ehrenamtlich arbeiten. Gratis-Eintritt, damit ganz sicher niemand ausgeschlossen wird. Das, so findet Sabine Auer, sollte eigentlich ganz normal sein.

Info und Kontakt:

www.salzburgsocialforum.org

kultur@salzburgsocialforum.org

Ktonr. : BAWAG,

57010 325 775, BLZ 14000

Kennwort: förderInnen

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