september 2002

Christian Felber
leitartikel

Gegen rote Schamzonen – für Vielfalt

„Building on diversity“ lautete das Motto des letztjährigen WEF. Niemand wusste, welche Vielfalt durch Großkonzerne gefördert wird. Die biologische? Die kulturelle? Heuer geht es um eine „common vision“, das ist schon ehrlicher: Bei der Herstellung von Herrschaftskonsens ist Vielfalt störend.

Gegen einen Osteuropagipfel der Vielfalt wäre nichts einzuwenden: PolitikerInnen beider Seiten treffen sich mit GewerkschafterInnen, BäuerInnen, NGO-VertreterInnen, UnternehmerInnen und ExpertInnen und beraten über einen Integrationsprozess im Interesse der Menschen. In Salzburg steht aber eine rein profitgetriebene Osterweiterung am Programm. Wo bleibt die Demokratie, wenn höchstrangige Politiker auf Zupfiff der „globalen Führer“ zum Cocktail eilen und sich die ökonomische Agenda abholen?

Ein Osteuropa nach Konzerngeschmack lässt sich leicht ausmalen: Alles, was öffentlich und gewinnbringend ist, wird privatisiert, dazu kommt die Schnäppchenjagd im Finanz-, Telekom- und Energiesektor, beides gut getarnt als „Direktinvestition“.

Die Landwirtschaft wird nach Brüssel-Modell industrialisiert und flurbereinigt. Zum Bauernsterben gesellt sich das Sterben der Klein- und Mittelbetriebe, lokale Wirtschaftsstrukturen zerbröseln, Regionen werden mit Transitautobahnen durchflochten und kaufkraftdrainagiert. Landflucht und Massenarbeitslosigkeit sind die Folge. Private Sicherheitsdienste werden die Reichenghettos von den Armen abschotten: Lateinamerika kommt nach Osteuropa.

Ein klein wenig kommen lateinamerikanische Zustände auch nach Salzburg, wenn zur Abschirmung eines Privatvereins 4.000 Polizisten zusammengezogen werden. Polizeischutz ließe sich rechtfertigen, wenn er im öffentlichen Interesse geschähe. Bloß: Liegt die schöne neue Welt der Großkonzerne im öffentlichen Interesse? Dazu kommt die Proportionalität des Polizeiaufgebots. Wer auch nur einen Funken von Deeskalationsinteresse besitzt, müsste dafür eintreten, dass die WEGA in der Garage bleibt. Die Schaffung roter Tabuzonen und die Vermummung von Beamten ist zwar dramaturgisch interessant (Globalisierungsfestspiele), aber aus Demokratiesicht eine unzulässige Parteienstellung, die das Motto der Vielfalt abermals konterkariert. Vielfältig bleibt da nur der Protest.

Christian Felber ist freier Publizist und Vorstands-

mitglied von ATTAC Österreich