sommer 2002

gelesen

SOMMERBÜCHER

Karl Markus Gauß

Mit mir, ohne mich. Ein Journal

Wien 2002, Zsolnay Verlag

Der Salzburger Publizist und Herausgeber (»Literatur und Kritik«) Karl Markus Gauß macht sich in seinem jüngsten Werk – Journal genannt, obwohl es kein »richtiges« Tagebuch ist, da der Autor Monatsbilanzen zieht, beginnend im August 2000 und endend im Juli 2001 – über Gott und die Welt seine Gedanken. Immer wieder über die literarische Form des Tagebuchs, natürlich über den hemmungslosen Neoliberalismus, über die europäischen Werte, über Berlusconi und dessen Telekratie, über den Mord an dem stadtbekannten Mönchsberg-Obdachlosen »Herr Professor« oder etwa über das WEF-Treffen vom vergangenen Juli. Auf genauen Beobachtungen basierend, vor allem auch die vermeintlichen Nebensächlichkeiten beachtend, spricht Gauß seine zumeist klugen Urteile. Besonders treffend seine Ablehnung des zeitgeistigen Fitnesswahns. Er stellt vergessene Literaten vor, oder lässt die kubanische Amateurboxlegende Felix Savon, der sich - wie im Übrigen sein Vorgänger als vielfacher Schwergewichtschampion und Olympiasieger Teofilo Stevenson - weigerte Profiangebote aus den USA anzunehmen, hochleben. Gauß ist zweifellos ein Meister der Polemik, die er stilistisch elegant serviert. In Erinnerung ruft die Lektüre auch die erzürnte Reaktion Luc Bondys, der von Gauß als eitler Geck entlarvt wurde. Ein Verdikt, das der Wiener Festwochenintendant durch sein Verhalten (er pfefferte bei einer Veranstaltung des Zsolnay-Verlags ein Exemplar des Journals auf Gauß) zu bestätigen wusste.

Freilich mag ich nicht allen Urteilen in diesem Buch zustimmen. Immer wieder wird etwa der »Pop« (was als Begriff erst genauer definiert werden müsste) pauschal abqualifiziert. Seit jeher aber bilden diverse Subkulturen Widerstandsnester gegen den gesellschaftlichen Mainstream. An Adorno geschulte Zeitdiagnostik neigt bisweilen zu Elitarismus und Kulturpessimismus. Dennoch ein wichtiges und lesenswertes Buch, das vom Feuilleton zu Recht durchwegs gelobt wurde. Einzig die heimischen »SN« straften das Werk (bis Redaktionsschluss) mit Ignoranz. Das ist aber ein eigenes

Thema.

Doc Holliday

Raul Zelik

Grenzgängerbeatz

Berlin, Hamburg, Göttingen 2001,

Assoziation A

Der in Berlin lebende Autor und Journalist (Jungle World, Spex) Raul Zelik präsentiert in seinem dritten Buch elf Erzählungen. Den gemeinsamen Nenner dieser Geschichten offenbart bereits der Titel: alle ProtagonistInnen sind Grenzgänger. Nicht bloß im wörtlichen Sinn – wie bei der Geschichte, die im spanischen Baskenland spielt, und in der Schmuggler illegal Staatsgrenzen überqueren – , sondern auch metaphorisch. Grenzüberschreitung als Vermischung verschiedener Kulturen, als ein Leben zwischen den (Mainstream)Kulturen, nirgendwo richtig dazuzugehören (oder auch erst gar nicht dazugehören wollen), das verbindet die Hauptfiguren seiner Erzählungen. Diese sind unprätentiös und ohne besonderen Stilwillen oder auch ohne belehrende politisch korrekte Botschaft geschrieben. Zelik benennt im Interview explizit die Neue Deutsche Popliteratur (mit deren Fahnenträger Benjamin Stuckrad-Barre) als Feind, wiewohl seine Storys sich auch unter diesem weitgefächerten Begriff einordnen lassen. Statt oberflächlicher Ästhetisierung und einem Zynismus, der sich gegen die Schwächeren der Gesellschaft richtet, will Zelik bloß unterhalten. Der Kolumbien-Kenner erzählt selbst Erlebtes von seinen Lateinamerikareisen, oder Geschichten, die ihm Freunde im Berliner Kiez mitgeteilt haben. Vorwiegend von MigrantInnen aus der Türkei, wie dem kurdischen Mädchen Gül, das sich nicht nur gegen deutsche Schweinshaxen, sondern auch gegen die eigenen Patriarchen und deren überkommene Vorstellungen von Tradition wehren muss. Ein Leben in Kreuzberg mit Public Enemy und der anatolische Brauch die Mädchen schon als Kleinkinder einem Nachbarsbuben zur späteren Verehelichung zu versprechen, das liefert Stoff für Kontroversen, Flucht und Widerstand.

Doc Holliday

Franzobel

Austrian Psycho oder

Der Rabiat Hödlmoser.

Ein Trashroman in memoriam

Franz Fuchs. Mit Bildern von

Norbert Trummer.

Weitra 2001, Bibliothek der Provinz

1973 erschien »Aus dem Leben Hödlmosers. Ein steirischer Roman mit Regie« des Fohnsdorfers Reinhard P. Gruber. Ein unterhaltsames Buch, in dem die trivialen Muster des Heimatgenres gekonnt und witzig auf die Schaufel genommen wurden. Knapp drei Jahrzehnte später machte sich der Vöcklabrucker (mithin also Oberösterreicher) Franzobel über den Text her. Dieser potenzierte die Persiflage und trieb sie in ungeahnte Tiefen. Dazu verbrät der Autor – wie der Titel schon andeutet – Elemente des Serienkiller-Romans »American Psycho« des New Yorkers Bret Easton Ellis und des zeitgenössischen Horror- und Trashfilms. Wo schon in Grubers Text Sex und Gewalt nicht fehlten, nehmen diese Topoi bei Franzobel groteske Formen an. Eine Art steirisches Kettensägenmassaker, das eine Sammlung österreichischer Schimpfwörter, wie sie bei Zeltfesten oder auf Fußballplätzen gern zu hören sind, mitliefert.

Eine echte steirische Eiche wird von Durst und Geilheit übermannt. Kein Wunder, dass Hödlmoser die Alkoholiker-Olympiade gewinnt. Davor vergewaltigt ihn der Waffennarr Jägermeister, wird er Mister Tanzfassl, fällt in ein Plumpsklo und rettet als scheißeverkrusteter Häusl-Golem die Kathi vor der Vergewaltigung durch die Mürzzuschlager Männer. Dazwischen gibt es lehrreiche Exkurse über die steirische Sprache, die Liebe, den Yogi oder den Bierbauch. Und den Bezirk Vöcklabruck macht Franzobel zum oberösterreichischen China. Wie es sich für diese Metaparodie gehört, verendet der Original-Hödlmoser übrigens bereits nach einigen Seiten. Zwei letzte Fragen wirft der grandios-groteske Schundroman auf. Wer sollte den Pulp Fiction-Stoff verfilmen? Franz Antel - der unzählige »unter der Lederhose oder dem Dirndl wird gejodelt«-Streifen (v)erbrach – , oder doch besser der geübte Nestbeschmutzer Franz Novotny? Schade dass Takashi Miike nicht einmal Chinese, sondern Japaner ist. Zu guter @etzt: Wissen Sie, was eine Steirermatura ist? Die Antwort erfahren Sie auf Seite 80.

Doc Holliday

James Hamilton-Paterson

Seestücke

btb, 1998

Eine Leseempfehlung für Menschen, die ihren Urlaub am Meer verbringen werden, denn wer sich in die knapp 400 Seiten feinsten britischen Wissenschaftsjournalismus einliest weiß, worin er badet. So spannend und mit Überraschungen gespickt kann Geschichte und Gegenwart der Meeresforschung erzählt werden, dass gestandene Landratten dem Biotop Meer mit Staunen begegnen werden. Erzählkunst auf höchstem Niveau führt den Bildungshungrigen durch alle Facetten des Meeres – von der Historie über die Zoologie hin zu Inseln, die Ende des 19. Jahrhunderts in Seekarten eingezeichnet waren, obwohl sie nie existierten und erklärt Phänomene wie den »nordatlantischen Boing«.

Dazu Wissenswertes über Piraten, Seekatastrophen und das »rote Fieber«. Die Mischung aus Sach- und Abenteurerbuch ist es, die dieses Buch auszeichnet – da kommt auch in der deutschen Übersetzung noch etwas vom »britischen Humor« an den Leser. Exkurse über Seekrankheit, Zetetik (eine Pseudowissenschaft, nach der die Erde eine Scheibe ist) und Souvenirs vervollständigen dieses Buch über die immer noch großteils unergründeten Tiefen unseres Planeten.

Thomas Randisek

Kathleen Meyer

How to shit in the Woods

(Wie man im Wald sch...)

Outdoor Handbuch

Conrad Stein Verlag, Struckum 2001

„Ahhh, fettich“, freut sich der deutsche Entertainer Jürgen von der Lippe in seinem Song »Guten morgen liebe Sorgen«, um gleich zum Wesentlichen zu kommen: „Wo is das Papier?“ Ja was, wenn nun weit und breit kein Papier in Sicht ist? Was, wenn einen der Drang nicht am gemütlichen Thron in den eigenen vier Wänden sondern beim Bergsteigen, Schwammerlsuchen, auf Reisen - jedenfalls fern aller Keimfrei-WC-Reiniger – überkommt? Wie viele andere Fertigkeiten, vom Fährten lesen bis zum Büffel häuten, hat der Zivilisationsmensch auch den natürlichen Umgang mit der unausweichlichen Antwort auf Essen und Trinken verlernt.

Abhilfe für unbeholfene Zivilisationsflüchtlinge schaffen hier die verschiedensten Ratgeber für draußen. Über einhundert solcher Handbücher hat der deutsche Conrad Stein Verlag bereits veröffentlicht. Die Palette reicht von eßbaren Wildpflanzen bis zum »Outdoor Handbuch Sex«; und eben die von der US-Autorin Kathleen Meyer verfaßte Anleitung zum gelungenen Outdoor-Schiß.

Schon sprachlich ein schwieriges Unterfangen. Meyer hat sich entschieden, statt dem klinischen »Stuhlgang« oder dem verniedlichenden »Häufchen machen« die Dinge beim Namen zu nennen: „Scheiße ist ein klasse Wort, echt!“ So von allen Zwängen befreit, nähert man sich dem Thema – garniert mit »größtenteils wahren Geschichten« über kleine und größere Pannen – ganz ungeniert. Neben einer kleinen »Wissenschaft des Scheissens« und praktischen Tips (»Das Loch graben«, »Kein Klopapier. Es geht auch ohne!«) thematisiert die Autorin im Kapitel »Montezumas Rache« auch die durch den Fernreiseboom entstehenden medizinischen Probleme. Nach Lektüre des kleinen Bandes bleibt eine fundamentale Erkenntnis: Es ist weit schwieriger in einer fremden Stadt ein brauchbares »Örtchen« zu finden als in freier Wildbahn. Gute Reise!

Thomas Neuhold