sommer 2002

Doc Holliday
zu gast

Sand, Wipe Out und Erdem Tunakan

So lobt man sich einen Promo-Text: Über das Gastspiel dieser Künstler, das am 8. Mai im Kulturgelände im Rahmen der von Gabi Freischlager und Charly Zechenter kuratierten »Club Afficionado«-Reihe über die Bühne ging, hieß es in der Ankündigung: „Es wird ein sensationeller Abend...“. Und das war keinesfalls zuviel versprochen.

Der Wiener Star-DJ Erdem Tunakan eröffnete und beschloss den Abend als Groovemeister an Mischpult und Plattenteller. Nicht gerade zufällig, gilt doch sein Kompagnon Patrick Pulsinger (die beiden bildeten früher nicht nur ein unzertrennliches DJ-Duo, sondern leiten gemeinsam ihr Plattenlabel Cheap Records) als der »Entdecker« der famosen Sand – zumindest was deren Bekanntheit und Präsenz in Österreich anbelangt.

Danach hieß es Vorhang auf für Wipe Out. Unlängst veröffentlichten die Linzer Buam elf neue Songs auf der CD »Anthems For The Underachievers« (die sie denn auch auf der ARGE-Bühne schmetterten): Discopop-Hadern im klassischen Amanda Lear-Gewand. Gereicht – mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern – vom Zeremonienmeister Didi Bruckmayr. Dass der vielbeschäftigte ehemalige »Zeit-Magazin«-Coverboy zwischen seinen unzähligen Terminen – vom Tätowierstudio bis zum Burgtheaterauftritt (im von Raoul Schrott neu übersetzten »Gilgamesch«-Epos) – wieder einmal für seine zahlreichen Salzburger Fans posierte, ist hochlöblich. Apropos Gewand: die niedlichen Querelle-Matrosenkostümchen (am kleidsamsten an Fadis Luxuskörper – kein Schmäh!) gaben der Performance eine verrucht-parodistische Note. Würde der »Querelle«-Regisseur Rainer Werner Faßbinder noch leben, ich bin mir 100 Prozent sicher, er würde die Stahlstadtjungs nicht nur wegen Didis Body-Art-Aktionismus, sondern wegen der stilsicheren Manierismen für eines seiner Melodrame verpflichten.

Aus der Disco ins Kino. Kein Faßbinder, sondern der Soundtrack für einen seltsamen Hybriden aus Horror- und Mondofilm (mein Vorschlag: das wäre was für Dario Argento oder den japanischen Extremisten Takashi Miike!) stand nach den Wipe Out auf dem Programm. Das Birminghamer Quintett Sand lässt tatsächlich während ihrer Auftritte im Hintergrund Experimentalfilme laufen und tritt in der britischen Heimat bisweilen in Kinos auf. Ebenso seltsam wie einzigartig und fesselnd kommt der Sound der sich um den für die Samples zuständigen Tim Wright gruppierende Combo daher: ein zwischen allen Genre-Stühlen angesiedelter Mix mit Elementen des Noise-Rock, des weißen Industrial-Funk, Krautrock-Dröhnung, schwer(metallisch)e Gitarren und jazzige Bassläufe. Dazu eine erhabene Posaune. This Heat, The Swans, The Can oder auch Barry Adamsons fiktive Soundtracks bilden noch am ehesten Markierungen im einmaligen Universum dieser Freistilmusiker. Wer dieses Schmankerl live versäumt hat, kann sich auf der unbedingt empfehlenswerten 2. LP »Still Born Alive« (Satellite/Soul Jazz Records, 2001) ein erstes Hör-Bild machen.

Die Radiofabrik (auf 107,5 Mhz) sendet am 15. Juni um 21 Uhr eine einstündige Collage aus Interviews und Musikbeispielen von und mit Sand (Gestalterin: Sarah Kampl). Tune In!