sommer 2002

Colette M. Schmidt

Graz 2003 – Eine geliftete, saubere Stadt

„Nur die Mur. Wenn ein Fluss schon so heißt, was ist da noch zu erwarten?“

Seit Robert Schindel in seinem 1992 veröffentlichten Roman »Gebürtig« diese Worte über den Grazer Hausfluss schrieb, hat sich das Wasser, das in selbigem fließt, ganz schön gemausert. Noch Ende der siebziger Jahre wurden Volksschulkinder vor dem Fluss gewarnt: Schon ein Achtel der im Sommer bis in die Altstadt stinkenden Brühe könne den Tod bringen.

Wie übel wäre »La Mur«, wie das Gewässer von GrazerInnen auch liebevolle genannt wird, damals einer Kulturhauptstadt zu Gesicht gestanden.

Doch 2003, wenn Graz diesen Titel offiziell tragen darf, wird das saubere Gewässer mit einer Insel samt Café und Spielplatz für seine gute Führung belohnt: Die aufgeklappte Muschel des New Yorker Designers Vito Acconci ist, neben dem - als »blaue Blase« bekannten - Kunsthaus vom britischen Architekten-Duo Peter Cook und Colin Fournier, eines der zumindest optisch auffälligsten Zugpferde von Graz 2003.

Was diese beiden nicht gerade billigen Projekte inhaltlich und nachhaltig für die Kultur der Stadt bringen werden, ist noch unklar.

Bei der Designer-Insel reichen die Kommentare zum rund fünf Millionen Euro schweren Projekt vom „außergewöhnlichen Veranstaltungsort, der die GrazerInnen ihrem Fluss wieder näher bringen wird“ - (Hand aufs Herz: Wen, außer suizidgefährdete quälte je die Sehnsucht nach den Fluten der Mur?), bis zur abschätzigen Bezeichnung »schwimmendes Beisl«, in dem es kühl und laut sein werde. Also nix für gepflegte Kammermusik oder Lyriklesungen.

Mit dem Kunsthaus, das im Herbst 2003 eröffnet werden soll, verhält es sich ähnlich.

Eine Stadt, in der es jahrzehntelang unmöglich war, ein dringend benötigtes Kunsthaus zu erbauen, bekommt jetzt eine spannende Konstruktion, die sich – unweit der Murinsel – wie ein Raumschiff der Familie Barbababa neben der Mur und unweit des Stadtzentrums niederlassen wird, die denkmalgeschützte Eisenkonstruktion seines Vorgängers bewahrend. Seine Schale durchsichtig blau, mit aufgesetzten Saugnäpfen, durch welche die Besucher in den Himmel schauen können. Es sieht gut aus, keine Frage, doch: Was kommt hinein, in die Blase? Und wer wird das Kunsthaus leiten? Wird diese Stelle EU-weit ausgeschrieben werden? Genau weiß das noch niemand. Neben den Räumlichkeiten der »Camera Austria« soll es vor allem ein Zentrum der Ausstellungskultur beherbergen und viele andere Funktionen erfüllen. Doch Mitte 2002 fragt sich noch immer: bloß welche?

Insel und Blase sind symptomatisch für die Kulturhauptstadt 2003, für die dem Intendanten Wolfgang Lorenz etwa 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Nie zuvor wurde in der Stadt so viel gebaut. Vom Flughafen bis zum Bahnhof, vom Hauptplatz bis hinauf auf den Schlossberg. Eine Stadthalle, ein Musiktheater, eine hochtechnisierte Helmut-List-Halle ebenfalls für Konzerte, ein Literaturhaus, ein Kindermuseum etc.

Ein Stadtrundgang stellt sich derzeit als Baugruben-Parcours dar. Und eines ist sicher: die Stadt wird hübscher sein, geliftet und neu eingekleidet, nach 2003.

Doch wer wird in ihr Kunst machen?

In allen Sparten der Grazer Kulturszene bricht angesichts einer Zahl regelmäßig so etwas wie Existenzangst aus: 2004. Denn schon 2002 wird ausgerechnet bei der Kunst gespart. Der VP-Kultur und Finanz-Stadtrat Siegfried Nagl setzte ein klares Zeichen, als er die Kulturförderungen dieses Jahres mit einer 15-Prozentsperre bedachte.

Natürlich muss jede/r naiv sein, um zu glauben bei Kulturhauptstädten ginge es ausschließlich um Kunst im engsten Sinne. Auch vergangene Kulturhauptstädte, wie Glasgow, Kopenhagen oder Weimar nutzten die EU-Gelder vor allem, um ihre Infrastruktur nachhaltig zu verbessern. Andererseits werden europäische Städte auch wegen ihrer mehr oder weniger funktionierenden lokalen Szene ausgewählt.

Diese scheint in Graz im Vorfeld von 2003 ausgetrocknet zu werden, selbst jene die aktiv das Programm mitgestalten, wissen nicht immer, wie sie die Jahre danach überleben sollen.

„Eines Tages verschwanden sie“ – heißt es in einer Zeile des programmatischen Gedichts der - gemeinsam mit Salamanca - aktuellen Kulturhauptstadt Brügge. Gemeint sind in diesem Gedicht die Gäste der flandrischen Kleinstadt. In Graz könnte sich diese Zeile 2004 am Schicksal so mancher freier Theater, kleineren Galerien, und unabhängigen Kulturinstitutionen bewahrheiten.