mai 2002

Gerald Gröchenig
geschaut

Man kann nichts vom Kopf auf die Füße stellen

...wenn man nichts im Kopf hat. Ein kulturtheoretisches Seminar mit Hermann Glaser und Burghard Schmidt

Kulturtheoretische Auseinandersetzungen sind heute nicht besonders gefragt. PolitikerInnen brauchen sie nicht, könnten sie doch daran erinnert werden, dass hinter ihrem Handeln auch noch eine öffentlich begründbare W-Frage (warum?) stehen sollte. Kulturschaffende sind ohnehin im Stress und scheinen auch von der Scheu befallen, den „Macher“ in ihnen einmal ruhen zu lassen, sich zurückzulehnen und nach dem Sinn der Arbeit zu fragen.

Umso dankbarer muss man dann sein, wenn man im Rahmen eines Seminars des »Internationalen Zentrums für Kultur und Management ICCM« ins Kolleg St. Josef geladen wird und drei Tage lang mit Hermann Glaser und Burghard Schmidt zum Thema „Kultur und Management“ reflektieren darf.

Hermann Glaser, ehemaliger Kultur- und Bildungsstadtrat von Nürnberg, Kulturtheoretiker, hat mit dem von ihm eingeführten Begriff „Bürgerrecht Kultur“ vor Jahren die Politik zur Anerkennung soziokultureller Felder vorbereitet, Burghardt Schmidt, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ernst Bloch, ist Kulturphilosoph und gefragter Autor und Gesprächspartner.

Von Flip-Charts und Moderationskoffern halten die beiden nichts, würd’ sie das in ihrem Denken und bei ihren Assoziationen zu sehr einschränken. Stichworte der ZuhörerInnen öffnen neue Diskussionsfelder, und von denen gibt’s im Bereich des Kulturmanagements wahrlich genug. „Kultur und Macht“ diskutiert man am Beispiel sich selbst inszenierender Gesellschaften sowie der „Salzburger Festspiele“. Es geht um Verwaltung zwischen Aura und Kompetenz, um Pädagogik, Hochschulreformen, Chaostheorie, PISA-Studie, Eventisierung, Stadtentwicklung, Tätigkeitsgesellschaft und Gegensatzpaaren wie „Beschleunigung - Entschleunigung“, „Arbeit – Tätigkeitsgesellschaft“ oder „Autismus – Solidarität“. Und es wird klarer, was ein verfehlter Ökonomismus mit seinen rein betriebswirtschaftlichen Maßsystemen alles an Strukturen zwischen Kindergarten und Rente zerstört. Klarer werden auch die Aufgaben eines Managements von Kulturpraktiken, Gesichtsfelder für gesamtgesellschaftliche Betrachtungen zu öffnen.

Am Anfang jedes Themenblocks stehen Zitate. Schiller, Kant, Goethe, Bloch, Adorno, Hegel, Marx, Nietzsche, Habermas, Eco »verdichten« Problematiken, regen zum Denken an, fordern zu Widersprüchen. Als Ergebnis jeder Gedankenreise stehen Anforderungen an das Kulturmanagement von heute: von den ZuhörerInnen wohl schon geahnt und bedacht, jetzt halt klarer sichtbar begründet. Nach drei großartigen Tagen der »Entschleunigung« werden sie wieder in den Alltag entlassen. Mit etwas mehr antizipatorischer Vernunft und nachhaltigem Denken, darf man glauben.