mai 2002

Doc Holliday
gelesen

Fussballbücher

„Der tödliche Paß. Zeitschrift zur näheren Betrachtung des Fußballspiels“.

(Zu beziehen über:

dertoedlichepass@gmx.net bzw. Thalkirchner Str. 188, D-81371 München)

Nicht nur der Buchmarkt zum Thema Fußball boomt. Auch deutschsprachige Zeitschriften, jenseits des altehrwürdig-verschnarchten »Kicker«, erscheinen in großer Zahl. Meist handelt es sich um Fanzines. Bisweilen reicht die stilistische und thematische Ausrichtung aber auch über simple Heldenverehrung, Berichterstattung und Ergebnislisten hinaus. Der Versuch kritisch und intelligent über das Kicken zu schreiben: Im »tödlichen Paß« gelingt es, diese allzu seltene Kombination zu vereinen. Vier Münchner FußballenthusiastInnen, bisweilen unterstützt von Gastautoren wie dem auf dieser Seite bereits gewürdigten Jürgen Roth, produzieren seit 1995 viermal jährlich ein Heft, das sich wohltuend vom Gesülze der Mainstream-Fußballberichterstatter unterscheidet. Politisch auf der richtigen Seite gibt es schon mal Breitseiten gegen Berlusconi oder den (inzwischen bankrotten) Medienmogul Leo Kirch.

Für Konstanz sorgen fixe Rubriken: das »Ballbuch« – eh klar - , »Berufsbilder im modernen Fußball« – untersucht »Positionen« wie den Spielmacher, den Edelreservisten oder die Spielerfrauen. Dazu verfasst Claus Melchior »Das Tagebuch«: Darin selbstredend die chronologische Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse auf und schräg neben dem »Platz« seit dem letzten »tödlichen Paß«.

Dank einem Steilpass aus München verschenkt, gegebenenfalls verlost der »kf« vier Exemplare des bei Redaktionsschluss aktuellen Heftes (Nr. 26, vom Januar 2002).

Interessierte schicken eine Mail an doc.hollyday@aon.at, nennen Ihren WM-Favoriten und bekräftigen dies mit einer kurzen Begründung. Die witzigsten und ungewöhnlichsten Einsendungen werden mit einem »tödlichen Paß« belohnt. Rechtswege, Linkswege, Einbahnen, Kreisverkehr oder Sackgassen sind ausgeschlossen.

Jürgen Roth:

„Die Tränen der Trainer“.

Wichtige Fußballbegebenheiten. Münster 2001, Oktober Verlag

Der deutsche Autor Jürgen Roth steht in der großen Tradition der »Neuen Frankfurter Schule«, der dieses Jammertal Welt genannt, einige der unverzichtbaren Überlebenshilfen verdankt: In Gestalt der Satiremagazine Pardon, Titanic und anderen Höhepunkten der humoristischen Zeitdiagnostik, die in Buchform zur geistigen Erbauung beitragen. Roth, dessen Glossen und Polemiken in Titanic, Taz, Konkret, Junge Welt und unzähligen weiteren Printmedien erscheinen, ist ja bekannt dafür sich mit lebenswichtigen Themen zu beschäftigen: Bier, Verona Feldbusch, Kulturbetriebsnieten, Verschwörungstheorien u. ä. m. In dieser Reihe darf auch der Fußball nicht fehlen. Bereits zum dritten Mal serviert der Autor wichtige Begebenheiten aus der Welt des runden Leders. Wie üblich muss der Polemiker nicht lange forschen, um ausgesucht sinnfreie Zitate zu finden. Gerade wenn es wie bei dieser Textsammlung um die merkwürdige Welt der Trainer geht. Endlich werden die - wahlweise Helden, Deppen, bunte Hunde oder Schleifer genannten – Übungsleiter und der üble Schwachsinn, den sie in die Schreibblöcke und Mikrophone rotzen, umfassend aufgearbeitet und erledigt. Wenn Sie schon immer wissen wollten, was den früheren Reichstrainer und Weltmeistermacher von 1954 (und damit Ausbügler der lästigen Stalingrad-Scharte), Seppl Herberger (»Der Ball ist rund«), mit dem Wald- und Wiesenphilosophen Martin Heidegger verbindet: Hier können sie es nachlesen. Positiv beurteilt werden nur wenige: Zlatko „Tschik“ Cajkowski oder der Nürnberger Radiofußballreporter Günther Koch. Und natürlich - im Gastbeitrag Kay Sokolowskys - der trinkfeste Kettenraucher Ernst Happel, der mit Pressing und Wiener Schmäh zum erfolgreichsten Trainer aller Zeiten aufstieg. „Allerhand interessante Mitteilungen über Ernst Happel“, so der Titel der Hommage, könnte Ihr ergebener Rezensent selbst erzählen: Von einer denkwürdigen Begegnung mit dem „Wödmasta“ im Ottakringer „Cafe Ritter“ am 23. 12. 1982 - beim kombinierten Vorstadt-Wettkampf »Tschechern und Karteln«. Davon aber ein andermal mehr. Bis dahin ergötzen Sie sich an diesen hochhumorigen Abrechnungen.

Harald Irnberger:

„Cesar Luis Menotti. Ball und Gegner laufen lassen“

Wien 2001, Werner Eichbauer Verlag

Harald Irnberger:

„Franz Beckenbauer. Ein Bayer zwischen Wahn und Wirklichkeit“ Wien 2002, Werner Eichbauer Verlag

Der inzwischen in Spanien lebende österreichische Journalist und Autor Harald Irnberger, der in den späten 70er Jahren als Chefredakteur des feinen, linken Monatsmagazins »Extrablatt« die heimische Medienszene aufmischte, beschäftigt sich mit zwei »Lichtgestalten« aus der Welt des runden Leders, die doch gegensätzlicher kaum sein könnten. Der eine, Cesar Luis Menotti, errang vor allem als Trainer der siegreichen Weltmeistermannschaft Argentiniens 1978 Berühmtheit. Der andere, Franz Beckenbauer, war zweifelsohne einer der besten Spieler aller Zeiten, aber auch in allen öffentlichen Auftritten ein unausstehlicher »Hanswurst« (Jürgen Roth in »Rätsel Fußball«), der „Scheiße erzählen kann“ und „trotzdem oben bleibt“ (ebenda). Der »Kaiser Franz« verdankt diesen Ehrentitel übrigens einem Gastspiel der Münchner Bayern in Wien: als nämlich Fotografen den damaligen Packerlsuppenwerbeträger zum Erinnerungsfoto neben der Büste Kaiser Franz Josefs im Stadtpark platzierten, nahm die Hybris ihren verhängnisvollen Lauf. Dafür sorgte schon die Journaille. Reich, reicher usf., das beschreibt den aus dem Münchner Glasscherbenviertel Giesing stammenden Beckenbauer ganz treffend. Gilt er doch als Deutschlands erster Fußballmultimillionär. Reichlich fällt ihm auch der Kaiserschmarrn aus seinem Mund. Gelegenheit dazu gibt es genug. Zu jedem noch so uninteressanten Anlass bitten ihn seitenblickende Adabei-Schmieranten zu irgendeiner Wortspende. Da lässt sich ein Kaiser nicht lumpen.

Der Argentinier Menotti wiederrum, der einst einen der fantastischsten Kicker überhaupt, Diego Maradona, entdeckte, bleibt vor allem wegen seiner Theorie über den linken und rechten Fußball, die seit gut 20 Jahren den intellektuellen Diskurs über die Balltreterei bereichert, in Erinnerung. „Beim Fußball der Linken spielen wir nicht einzig und allein um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben...“, so der Mann, der 1978 nach dem siegreichen WM-Finale, den regierenden faschistischen Militärs den Handschlag verweigerte. Ehre im Leib, die sonst noch den damaligen Vizeweltmeistern Niederlande zugebilligt werden kann, nicht aber den Deutschen, bei denen etwa der »Terrier« Berti Vogts messerscharf zu analysieren wusste: „Argentinien ist ein Land in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“. Irnberger verfasste weniger eine Biographie Menottis denn eine Reflexion über Spielsysteme und eine Zustandsbeschreibung des heutigen Kickens, das in seiner kompletten Verkommerzialisierung durch und durch verrottet erscheint. Womit auch logisch folgt, dass Irnberger sich in seinem jüngsten, noch druckfrischen Werk den Kaiser vorknöpft.