mai 2002

Doc Holliday
im gespräch

„Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft ausüben“

Doc Holliday sprach mit Andreas Rennert vom Salzburg Social Forum

Vielleicht stellst du dich einleitend kurz vor: Wie schaut deine politische Sozialisation aus?

Politisch war ich überhaupt noch niemals tätig. Seit Zwentendorf und den Aktionen von SOS Mitmensch hab ich nicht einmal meine Meinung wirklich öffentlich geäußert. Aber der Ärger über Politik in Österreich ist von Jahr zu Jahr immer größer geworden. Als Marcus Omofuma dann unter Mitverantwortung aller Österreicher - außer jener des Innenministers - zu Tode gebracht wurde, hab ich mich in Grund und Boden geschämt, dass ich noch niemals politisch aktiv geworden war. Nach dem Umbruch im Jahre 2000 habe ich mich dann in der Salzburger Plattform gegen Rassismus und Sozialabbau engagiert - zuerst etwas schüchtern und unsicher. Aber die politischen Verhältnisse bei uns in Österreich, gleichzeitig die Anmaßung einer weltweiten neoliberalistischen Mafia, Politik alleine - sogar ohne die Politiker - zu machen, sind Dinge, die mich immer wütender machen.

Wie ist die Idee zum Salzburg Social Forum (SSF) entstanden?

Wir haben im letzten Herbst - im Rahmen der Plattform - die Ereignisse bei den Protesten gegen das WEF im Juli 2001 sehr ausführlich behandelt. Dabei wurde rasch klar, dass ein großes Bedürfnis da ist, sowohl gegen die menschenverachtende Politik dieses privaten Wirtschaftsmulti-Vereines und die Macht, die unsere Politiker ihm einräumen, zu protestieren, aber auch die verfassungsgemäßen Grundrechte der Menschen in Salzburg und Österreich durchzusetzen, nämlich auf Demonstrationsfreiheit, auch darauf, eine Demonstration in Seh- und Hörweite der WEF-Zyniker abzuhalten. Mit einem weitgehend konsensfähigen Bündnispapier sind wir dann auf die Suche nach Unterstützern gegangen.

Was ist das SSF? Was ist euer Selbstverständnis?

Wir sind ein offenes Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen, die im sozialen Bereich engagiert sind. Wir organisieren uns in Arbeitsgruppen, die einer monatlichen Vollversammlung Rede und Antwort stehen. Die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen steht allen offen. Im SSF sollen Ideen ausgetauscht und natürlich Diskussionen geführt werden können, zwischen Leuten, die nicht mehr zusehen wollen und können, wie wir in unserem eigenen Namen beschmutzt werden, wie man uns unser Empfinden für globale Gerechtigkeit abkauft für ein bisschen Kleingeld für den Konsum. Bei manchen werden natürlich schon etwas größere Summen aufgewendet. Wir wollen, dass sich die Teilnehmer des WEF vor der ganzen Welt, aber auch vor ihren eigenen Kindern rechtfertigen müssen für die von ihnen betriebene menschen- und umweltzerstörerische Unrechtsglobalisierung. Dass das WEF nur ein kleiner Teil des neoliberalen Wahnsinns ist, der uns alle nur als in Geld messbare Faktoren begreift, ist uns klar, und ich denke es wäre völlig verkehrt, uns auf das Thema WEF zu beschränken.

Was sind eure Vorbilder? Stichwort: Genua Social Forum

Das Genua Social Forum hat von den Kirchen bis zu den Kommunisten, von den Grünen bis zu den Tierschützern alle vereinen können, die den Neoliberalisten Einhalt gebieten wollen. Es ist logisch, dass alle diese so unterschiedlichen Gruppierungen gemeinsam handeln möchten, wenn es uns allen an den Kragen gehen soll. Nur merkwürdig, dass die Think Tanks der Multis die Phantasie nicht gehabt haben, das vorauszusehen.

Womit wird sich das SSF beschäftigen? Was sind eure Anliegen?

Derzeit mit den Vorbereitungen für das leider dominierende Salzburger Thema, die WEF-Tagung Mitte September. Wir wollen Raum schaffen für öffentlichen Protest, für inhaltliche Gegenveranstaltungen, kulturelle Auseinandersetzungen. Mit dem Ziel, den Skandal, dass ein wirtschaftsextremistischer Verein hier bei uns in Salzburg die Aufteilung Osteuropas durchführt, als Skandal zu benennen.

Welche Aktivitäten sind konkret für das kommende WEF-Treffen geplant? Soll nach Vorbild des Genua Social Forum etwa ein »Gegengipfel« stattfinden?

Allerdings. Da gibt es derzeit ganz interessante Auseinandersetzungen, wie der ablaufen soll. ATTAC macht für den Gegengipfel die Planung, und die wollen unbedingt den ÖVP-Wirtschaftsbund dabei haben. Das gefällt sehr vielen anderen nicht. Wenn der Wirtschaftsbund wirklich gegen neoliberale Politik aufstehen möchte, soll er doch die Forderungen nach einer Wertschöpfungsabgabe unterstützen und damit zum Beispiel beweisen, dass er ein Herz für kleine Gewerbetreibende und den Sozialstaat hat.

Was erwartest du dir von den Aktivitäten des SSF?

Dass engagierte Menschen endlich wieder politische Themenführerschaft übernehmen. Es kann doch nicht angehen, dass ein oder zwei greise Journalisten und ein paar ehrgeizzerfressene Bundeskanzler und MinisterInnen, die wirklich hinter dem Mond leben, was die Realitäten des Lebens betrifft, die politische Diskussion in diesem Land untereinander führen, gelegentlich einmal der Öffentlichkeit einen - allerdings sehr gut bezahlten - Experten zum Fraß vorwerfen und ansonsten Politik für Wirtschaftslobbys betreiben.

Soll das SSF auch über den konkreten Anlass des WEF-Gipfels hinaus eine politische Rolle in Salzburg/Österreich spielen und welche könnte dies sein?

Wir hoffen, dass es im Herbst bei uns in Salzburg zur Gründung des Austrian Social Forum kommen wird. Es wird bereits daran gearbeitet. Und wir werden auch zu Salzburger Themen nicht schweigen.

Was habt ihr aus den Erfahrungen des Genua Social Forum gelernt?

Dass man nicht in Italien Theater spielen, sondern lieber im Kosovo foltern sollte, wenn man meint, die Hilfe unseres Außenamtes brauchen zu können. Aber Ernst beiseite: Dass die Rolle unabhängiger Medien und Beobachter unglaublich wichtig ist. Und wir werden dafür sorgen, dass beides im Herbst in Salzburg vorhanden ist.

Wie schaut euer Verhältnis mit der Salzburger bzw. österreichischen Exekutive aus? Gibt es einen Dialog zwischen beiden Seiten?

Natürlich. Eine Demonstration muss schließlich polizeilich angemeldet werden. Sie richtet sich auch nicht gegen die Polizei. Ich habe letztes Jahr mit Tiroler Polizisten gesprochen, die völlig entsetzt waren über ihre Wiener Kollegen von der WEGA. Und ich weiß von zwei Salzburger Polizisten, die letztes Jahr gerne mitdemonstriert hätten. Ich glaube, wenn so etwas einmal möglich sein wird, ohne dass sie ihre Arbeit verlieren, dann wird Österreich ein lebenswerteres Land sein.

Auf das Genua Social Forum bzw. einzelne Vertreter wurde von den in Italien herrschenden Parteien massiver politischer Druck ausgeübt. Befürchtest Du solche Einflussnahmen auch in Salzburg ?

Naja, werden wir sehen. Wenn es so kommt, dann werden wir versuchen, den Druck unverzüglich öffentlich zu machen. Einstweilen arbeiten wir daran, dass unser Einfluss massiven Druck auf die Gestaltung unserer Zukunft ausübt.