mai 2002

Georg Wimmer
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Wer fürchtet sich vorm WEF?

Vor der großen Demo im Herbst suchen Organisatoren und Exekutive eine gemeinsame Vertrauensbasis. Der Fun-Faktor könnte die Sache erleichtern.

Am Beginn dieser Geschichte steht kein Horrorszenario. Wenn das World-Economic-Forum nach drei Tagen am 17. September zu Ende geht, liegt Salzburg nicht in Schutt und Asche. Keine wildgewordenen Vermummten auf der Demo und auch keine Robocops, die hinter Schildern stier starrend auf den Befehl zum Losschlagen warten. Wir trauern weder um einen toten Polizisten wie in Göteborg noch um einen erschossenen Demonstranten wie in Genua. Keine brennenden Autos. Salzburg zeigt vor, wie’s geht und macht Furore mit phantasievollen Protestformen. Die ausgelassen Menge, vorneweg die KommunistInnen, im Schlepptau die katholische Männerbewegung, zieht durch die Mozartstadt. Die Love-Parade der Globalisierungskritik. Ein schwarzer Tag für politische Scharfmacher, Chaoten, Prügelbullen und für die Journaille, die die gewohnten Bilder diesmal nicht liefern kann.

Viel hatte schon im Vorjahr nicht gefehlt. Demonstrierende wie in Salzburg würde man sich in ganz Europa wünschen. 919 Menschen sechs Stunden lang in der Wolf-Dietrich-Straße eingekesselt. Und nicht ein Kratzer an den Auslagen. Allein, die Bilder vom kleinen Bürgerkrieg gab es trotzdem. Dafür sorgten auf der einen Seite unablässig provozierende WEGA-Polizisten, die völlig Unbeteiligte herausgriffen, und auf der anderen Seite das Grüppchen Autonomer, das mit Fahnenstangen zum Gegenangriff schritt. Fazit: ein Polizist mit Gehirnerschütterung, ein Demonstrant mit ausgerenkter Schulter. Als eine Woche später die Gewaltbilder von Genua kursierten, verfestigte sich die Sichtweise, allein das Großaufgebot von 3.000 hochgerüsteten Beamten habe hierzulande Schlimmeres verhindert. Polizeidirektor Karl Schweiger, der vor seinem Abgang nach Steyr um sein Strahlemann-Image bangte und durch seinen Zickzack-Kurs vor und während der Demo ungewollt die Stimmung anheizte, wurde von vielen Politikern später gar in den Heldenstand erhoben. Heuer wird sich auch ohne einen überforderten Polizeichef die Lage zuspitzen. Nach Barcelona steht in diesem Jahr europaweit kein bedeutender Wirtschaftsgipfel mehr auf dem Programm. Internationaler Zustrom zur Anti-WEF-Demo nach Salzburg scheint somit programmiert.

Anders als im Vorjahr ist die Polizei diesmal aber gewillt, eine „gehende Demonstration“ zu gestatten und nicht bloß eine Standkundgebung am Bahnhofsvorplatz. Mehr noch: Man möchte im Vorfeld sogar mit den Organisatoren der Demo eng zusammenarbeiten, wie Polizeisprecher Rudolf Feichtinger erklärt. Der Exekutive schwebt ein Modell vor, bei dem Ordnern, die von den Veranstaltern der Demo gestellt werden, jeweils Vertrauenspersonen auf Seiten der Exekutive zugeteilt werden. Die Ordner sollen vorweg eine Einschulung durch die Polizei erhalten. Was zunächst recht vernünftig klingt, hat allerdings eine Crux: Es gibt, wie der deutsche Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner auf einer Podiumsdiskussion in Salzburg ausführte, eine klare Grenze zwischen Kooperation und Kollaboration. Diese Grenze verlaufe genau dort, wo Demo-TeilnehmerInnen von den Ordnern an die Exekutive ausgeliefert werden. Selbst wenn ein Nebenmann augenscheinlich eine Gewalttat gesetzt habe, rate er davon ab, diese Person der Polizei zu übergeben, sagte Gössner. Es sei schließlich nicht Aufgabe eines freiwilligen Ordnerdienstes, als besserer Gesetzeshüter zu fungieren. Gössner stand damit nicht unerwartet im Widerspruch zu Hermann Lutz, dem Vorsitzenden der Europäischen Polizeigewerkschaft. Der meinte, allein eine uneingeschränkte Zusammenarbeit könne langfristig eine friedliche Demo-Kultur gewährleisten. In Salzburg kommt neben prinzipiellen Vorbehalten freilich hinzu, dass nach den Ereignissen des Vorjahres schlicht die Vertrauensbasis fehlt.

Nicht nur, weil Personen, die den Kessel freiwillig verlassen wollten, im Arrest landeten. Nicht nur, weil diese dort bis zu drei Analkontrollen in einer Nacht über sich ergehen lassen mussten. Nicht nur, weil die Exekutive noch ein halbes Jahr lang recherchierte und auch friedliche Demo-TeilnehmerInnen mit Anzeigen zuschüttete. Das große Misstrauen brach spätestens dann aus, als nach Genua offenkundig wurde, wie ungeniert der Datentransfer von der heimischen Exekutive zu ausländischen Kollegen und befreundeten Geheimdiensten erfolgt. Hans Peter Graß, Leiter des Friedensbüros und mittlerweile einer der Sprecher des Salzburg Social Forum, geriet im Vorjahr selbst in die Fänge der Sondereinheit WEGA. Er hatte mehrere Anzeigen am Hals. Graß plädiert nun für ein differenziertes Verhältnis zur Exekutive: „Wir werden jedenfalls noch eigene Trainings abhalten. Die zentrale Frage dabei wird sein, was ein Ordner tun kann, um Übergriffen auf beiden Seiten zu begegnen.“

Entscheidend für die Stimmung im Herbst wird auch die Rolle der Politik sein. Wer sich den WEF nach Salzburg wünscht, müsste eigentlich dafür sorgen, dass bürgerliche Grundrechte deshalb nicht eine Woche lang außer Kraft gesetzt werden. Eine solche Einsicht zeichnet sich vorerst nicht ab. Im Landtag fassten ÖVP, SPÖ und FPÖ einen Beschluss, in dem sie den Innenminister aufforderten, für die Demo in Salzburg ein Vermummungsverbot zu verordnen. Eine Massnahme, die sogar der Salzburger Polizei zu weit geht. Rudolf Feichtinger: „Theoretisch hätten wir schon letztes Jahr selbst ein Vermummungsverbot erlassen können, wenn uns das sinnvoll erschienen wäre.“ Feichtinger befindet sich damit in einer seltsamen Übereinstimmung - ausgerechnet mit den Grünen. Deren Landessprecher Cyriak Schweighofer ergänzt: „Was würde wohl passieren, wenn bei einem verhängten Vermummungsverbot mitten in der friedlichen Demonstration ein einziger Vermummter auftauchen würde?“ Die Polizei müsste eingreifen. Eine Eskalation wäre das Ergebnis. Und das weiß auch die Polizei.

Was also tun, damit Salzburg 2002 nicht doch außer Rand und Band gerät? Ein hoher Beamter der Staatspolizei beschwört die Formel „gehaltvoll statt gewaltvoll“ und wünscht sich gar eine „Demonstration mit Qualität“. Am Zielpunkt der Demo solle ein so gutes Programm geboten werden, dass möglichst viele Leute dort hingehen. Der nicht ganz uneigennützige Wunsch könnte sich durchaus erfüllen. Denn das Salzburg Social Forum bastelt bereits an einem Event-Kalender für alle Tage. Frei nach dem Motto: Jeder Ausnahmezustand braucht ein kulturelles Rahmenprogramm oder: Salzburgs Antwort auf Schlingensief.

Der Performance-Künstler Otto Beck meint, das World Economic Forum eröffne Salzburg sogar die Chance, eine der letzten toten Wochen für den Fremdenverkehr sinnvoll zu nutzen. „Und wenn alles klappt, können wir mindestens so gut werden wie das Advent-Singen.“