april 2002

gelesen

Bücher

Franz Hermann Reischl

Folta für John Travolta

Unterweitersdorf 2001,

Freya Verlag

Bücher über Punk (gemeint ist damit die Stilepoche von ca. 1976 bis etwa 1985) haben derzeit Hochkonjunktur. Im November stellten wir an dieser Stelle das äußerst empfehlenswerte Standardwerk „England`s Dreaming“ von Jon Savage vor. In diesem Heft würdigt Kollege Neidhart Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“. Dessen kunstvolle Montage aus zahlreichen Interviews mit den (deutschen) Szeneprotagonisten hat mit vorliegendem Buch des Welser Punk-Urgesteins Franz Hermann Reischl wenig gemein. Außer dass beide Autoren ihre herrlichen Titel von legendären Songs deutscher Punkbands entliehen haben: „Verschwende Deine Jugend“ ist ein Zitat von DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft), „Folta für John Travolta“ ein Titel des KFC (das steht für Kriminalitätsförderungsclub). Wo Teipel viele, auch gegensätzliche Stimmen sprechen lässt und kunstvoll kompiliert, herrscht bei Reischl keine Distanz. Das Buch präsentiert in abgehackter Sprache, unter Verzicht auf hochgestochenen literarischen Stil, Episoden aus der Zeit, da Reischl - sozialisiert durch einen London-Aufenthalt - mit seiner Band Frontal den Punk in die oberösterreichische Messestadt brachte. Die persönlichen Erinnerungen ergänzt der Autor mit seiner subjektiven Version der Punk-Geschichte. Schön für jeden Zeitzeugen, dass heute zu Unrecht vergessene Legenden wie 999, Mordbuben AG oder die Linzer Willi Warma lobende Erwähnung finden. Zwischen den Zeilen spürt man immer den »Geist des Punk«: Verweigerungshaltung, den Widerspruch zwischen Renitenz und dem Streben nach Erfolg, deutlich gemacht an den (bald erledigten) Illusionen über eine Profimusikerkarriere.

Einziger Wermutstropfen des Büchleins - und dafür kann auch die beigelegte Frontal-Single kaum entschädigen: die nicht geringe Anzahl von Druckfehlern (?) bei Bandnamen und Plattentiteln. Insider wissen zwar, dass „My Sharona“ von The Knack und nicht The Neck stammt, dass eine LP der Clash „Combat Rock“ und nicht „Compact...“ heißt. Ärgerlich und Unkundige in die Irre führend ist das schludrige Lektorieren aber allemal. Doc Holliday

Lloyd Bradley

Bass Culture. When

Reggae Was King

Penguin Books 2001

572 Seiten, ca. € 18.-

Wenn die seit den mittleren Fünfzigern aktive jamaikanische Musikerlegende Prince Buster im Vorwort zu „Bass Culture“ meint „Jamaican music at last has the book it deserves“, dann bringt er das Ergebnis von Lloyd Bradleys knapp sechsjähriger Forschungsarbeit eigentlich schon präzise auf den Punkt. Von den frühesten Einflüssen aus den USA (Rhythm'n'Blues- und Jazz-Radiostationen aus New Orleans konnten trotz einer Distanz von knapp 2000 Kilometer problemlos empfangen werden) bis hin zu den Dancehall-Sounds unserer Tage legt Bradley akribisch Schicht für Schicht frei und ermöglicht so Blickwinkel und Einsichten, die in dieser geballten Form bisher wohl nur verstreut in diversen Booklets und Line-Notes von Reggae-CD-Wiederveröffentlichungen zu finden waren. Dabei kommen nicht nur Reggae-Legenden wie u.a. Big Youth, Jimmy Cliff, Sly Dunbar, Bunny Lee, Lee Perry ausführlichst zu Wort. Bradley durchschreitet auch (wortwörtlich) den »Black Atlantic« zwischen Jamaika, den USA, Afrika und England. Legt die eigentlichen »Roots« von Reggae (die Sklaverei und das dadurch bedingte Leben in der »Black Diaspora«) ebenso anschaulich frei wie die Wechselwirkungen zwischen der »Bass Culture« und den sie umgebenden politischen, sozialen und ökonomischen Missständen. Die Musik, als »Voice Of The People« (und eigentliche Quelle einer Oral bzw. Sonic History), bleibt dabei jedoch immer im Zentrum. So verwundert es nicht, dass Bradley Prince Busters 1959er Ska/Rocksteady-Hit »Oh Carolina« gerade deshalb soviel Aufmerksamkeit schenkt, weil hier durch die Einbeziehung der rituellen Rastafari-Trommler des Rasta-Priesters Count Ossie zum erstes Mal auf ein direktes afrikanisches Erbe Bezug genommen und dieses auf Platte gepresst wurde. Ähnlich wird auch dem Verhältnis zwischen Dub-Techniken und medizinischen Heilpraktiken (etwa »Herbalism«) in auf Jamaika gepflegten afrikanischen Kulten wie Obeah nachgegangen. Natürlich fehlen Jimmy Cliff (»The Harder They Come«) und Bob Marley nicht. Aber das sind nur die Eisbergspitzen in »Bass Culture«. Didi Neidhart

Martin W. Drexler/Markus Eiblmayr/Franziska Maderthaner (Hrsg.): Idealzone Wien. Die schnellen Jahre (1978 - 1985).

Wien 1998, Falter Verlag

Und noch einmal Punk und New Wave: In diesem großformatigen Sammelband beschreiben eine Vielzahl illustrer, aus Funk (Musicbox), TV oder einschlägigen Zeitgeistmagazinen bekannte AutorInnen (unter anderem Walter Gröbchen, Michael Hopp, Burghart Schmidt oder Karin Resetarits) alle wichtigen Phänomene im Wien des (Post-)Punk-Aufbruchs: Mode, Kunst(hochschulen), Werbung, Architektur, Yuppies, Falco oder auch Hainburg. Im zweiten Teil des auch durch seine Fotoauswahl bestechenden Buchs führen die Herausgeber klärende Gespräche, etwa zu den Themen Kunst, Punk, Schauspielhaus, Film (u. a. mit Franz Novotny über »Die Staatsoperette« und »Exit - Nur keine Panik«), Musik (mit Drahdiwaberl-Anarcho Stefan Weber). Das Vorwort verfasste der Ex-Aktionist, Hansdampf in allen Szenegassen und nunmehrige Kunstprofessor Peter Weibel. Dessen Band Hotel Morphilia Orchester (mit Gitarrenlegende Paul Braunsteiner, bekannt von der 60er Jahre Kultcombo Novaks Kapelle) gelang 1979 mit »Sex in der Stadt« ein zeitloser Klassiker. Nicht die einzige Tatsache, an die dieser empfehlenswerte Wälzer jenseits aller nostalgischen Verklärung erinnert. Doc Holliday