april 2002

Doc Holliday

Persilscheine für lauter Unschuldslamperln?

Ein Symposion in Linz beschäftigt sich (auch) mit der Entnazifizierung in Salzburg

Linz ist anders. Die oberösterreichische Landeshauptstadt unterstützt in einem für heimische Verhältnisse ebenso unüblichen wie vorbildhaften Ausmaß die wissenschaftliche Aufarbeitung der braunen Vergangenheit unserer Heimat. Am 19. 9. 1996 beschloss der Gemeindrat der Stadt Linz, die Zeit des Nationalsozialismus (1938 bis 1945), aber auch die unmittelbare Vorgeschichte der Annexion Österreichs, sowie die Entnazifizierung wissenschaftlich untersuchen zu lassen.

»Entnazifizierung in Österreich« nennt sich ein internationales Symposion, das vom 2. bis 5. April im Alten Rathaus (Hauptplatz 1) der Stahlstadt stattfinden wird. Als Organisatoren der hochkarätig besetzten Tagung fungieren das Archiv der Stadt Linz und das Vorarlberger Landesarchiv.

Während sich die Arbeiten von Historikerkommissionen vornehmlich mit den Fragen der Arisierungen und den Entschädigungen der Zwangsarbeiter beschäftigen, besteht beim Problemfeld der Bewertung des Umgangs des offiziellen Österreich mit der NS-Zeit nach wie vor ein eklatantes Forschungsdefizit. Dieses soll das Symposion beheben helfen. Wichtigste Zielsetzung: Eine Gesamtdarstellung der Entnazifizierung in Österreich aus dem Blickwinkel der Bundesländer und der alliierten Besatzung zu leisten. Im Unterschied zu den bislang zum Thema veröffentlichten Arbeiten, können die Forscher seit dem Inkrafttreten des Bundesarchivgesetzes am 1. 1. 2000 ( und ähnlicher Regelungen für die Archive der Bundesländer) ohne Zugangsbeschränkung das umfangreiche behördliche Schriftgut des Staatsarchivs wie der Landes- und Kommunalarchive zur Entnazifizierung erstmals in vollem Umfang nutzen. Die Referate, die die Situation im Bundesland Salzburg behandeln, werden Oskar Dohle vom Salzburger Landesarchiv und Kurt Tweraser von der University of Fayetteville/Arkansas halten.

Die spezielle Brisanz des Themas aus Salzburger Sicht zeigen einige Fakten und Zahlen, die der Historiker Robert Kriechbaumer veröffentlichte: Schon seit dem späten 19. Jahrhundert zeichnete sich Salzburg durch eine starke nationale Tradition aus. Die Kontinuität dieser nationalistischen Ideologie im 20. Jahrhundert (mit dem deutschtümelnden Element an vorderster Front) mag erklären, dass Salzburg im Jahr 1948 mit 9,2 Prozent der Gesamtbevölkerung an 2. Stelle der registrierungspflichtigen Nationalsozialisten in Österreich stand ( Führend in dieser schändlichen Wertung übrigens Tirol mit einem Anteil von 10,8 Prozent ). Zur weiteren Untermauerung der These, dass Salzburg ein besonders guter Nährboden für ein autoritär-faschistisches Potenzial darstellte, seien noch einige Ergebnisse US-amerikanischer Meinungsumfragen aus dem Jahr 1948 zu politischen Grundeinstellungen der Salzburger zitiert: Für eine Generalamnestie aller Nationalsozialisten stimmten in Oberösterreich und der US-Zone Wiens je 25, in Salzburg aber satte 33 Prozent der Bevölkerung. Auf die Frage „Wenn Sie nur zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus entscheiden müssten, was würden Sie wählen ?“, optierten 43,2 (in Wien 35,6 und O.Ö 29.4) Prozent für die Nazibarbarei. Dem Kommunismus zugeneigt waren hierzulande bloß 2,6 (in Wien immerhin 6,1) Prozent. Die ungebrochene deutschnationale Tradition in Salzburg belegt eine Umfrage von 1956: 63 Prozent der Bevölkerung definierten damals noch ihre Identität als „deutsch“!

Wenig verwunderlich, dass im Jahr 1947 Salzburg zum Zentrum der Opposition gegen das in jenem Jahr erlassene »Nationalsozialisten-Gesetz« wurde. Ein Kartell bestehend aus führenden ÖVP-Politikern (LH Hochleitner), Erzbischof Andreas Rohracher, den Publizisten Gustav A. Canaval (Chefredakteur der SN) und den späteren Gründern der FPÖ-Vorläuferpartei VdU, Viktor Reimann und Herbert Kraus, machte Stimmung gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen und bereitete den Weg für die die 2. Republik dominierenden (und noch heute gern gepflegten) Strategien im Umgang mit der NS-Zeit: Verdrängung, Verharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr.

Die mit Spannung erwarteten Referate und Diskussionen des Linzer Symposions sollen im Herbst 2002 veröffentlicht werden. Weitere Informationen im Internet unter www.linz.at/archiv