april 2002

Didi Neidhart
im gespräch

Legalize History!

kunstfehler: Wie kam es eigentlich zum Buch?

Jürgen Teipel: Ich habe vor 4 Jahren das Buch „Please Kill Me“ über amerikanischen Punk besprochen und dachte: „Das könnte man auch in Deutsch probieren.“ Vor allem wurde mir klar, was da eigentlich für eine Lücke in der Geschichtsschreibung klafft. Denn zwischen den 68ern und Techno schien wirklich nur diese blöde Neue Deutsche Welle passiert zu sein. Dabei war da viel mehr – und viel Wichtigeres! Ich habe dann über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren ungefähr 100 Interviews gemacht. Davon sind ca. 77 im Buch.

Waren Wiederveröffentlichungen von alten DAF/Fehlfarben-Sachen oder die deutsche TV-Doku plus CD-Box »Pop 2000« mit Auslöser für das Buch?

Diesen Neue Deutsche Welle-Hype habe ich gar nicht so mitgekriegt. Weil mich diese Musik halt nie interessiert hat. „Pop 2000“ fand ich sowieso nicht gut. Vor allem hatte ich da mindestens schon ein Jahr am Buch gearbeitet. In „Pop 2000“ wurden Punk und New Wave in einer halben Stunde erklärt. Das kann nicht funktionieren. Dagegen kannst du auf 375 Buchseiten viele unterschiedliche Positionen aufzeigen und eine ganze Bewegung einigermaßen transparent machen. Auch für Leute, die damals nicht dabei gewesen sind.

Der Untertitel »Doku-Roman« spielt ja schon auf das Problem einer Vermischung von Facts und Fiction bei der von dir betriebenen Oral History an. Wie bist du mit falschen Erinnerungen und blinden Flecken umgegangen?

Die falschen Erinnerungen waren natürlich am Anfang ein Problem. Vor allem wenn ich die ersten Male über widersprüchliche Aussagen gestolpert bin. Aber das ist eben der Vorteil, wenn Du nicht nur mit zwei, drei Leuten über das gleiche Thema oder den gleichen Vorfall sprichst, sondern mit zwanzig oder dreißig. Dann kristallisiert sich ziemlich schnell heraus, was eigentlich stimmt.

Stand die konstruierte Dialog-Form, in der die einzelnen ProtagonistInnen in den Kapiteln sozusagen an einem riesengroßen runden Tisch miteinander reden, schon vor der eigentlichen Arbeit am Buch fest?

Dass diese Form funktionieren kann, sah ich schon an »Please Kill Me«. Aber dass es oft so gut geklappt hat, ist einfach eine Sache von genügend gutem Material und guter Organisation. Es haben auch viele Leute die Chance genutzt, diese ganze Punk-Sache wirklich mal zu reflektieren. Das hatten ja bisher die Wenigsten getan.

Warum diese Konzentration auf Düsseldorf, Hamburg und Berlin?

Ich musste mich auf einige wenige wichtige Zentren beschränken. Und diese Städte waren damals auf jeden Fall die wichtigsten Zentren in Deutschland.

Was auffällt ist der Umstand, das am Anfang alles relativ offen war. Es gab zwar den Begriff »Punk«, aber man hatte keine Vorstellung, keine Bilder davon. Und wenn, dann via »Bravo«. Plötzlich gab es aber Definitionsmachten. Wie wichtig war es für dich diese unterschiedlichen, fast schon doktrinär wirkenden Punk-Heilsversprechungen, also die unterschiedliche Auslegungen des »wahren Glaubens« darzustellen?

Ich fand es total interessant, dass Punk anfangs wirklich so unterschiedlich war. Dass jeder seinen eigenen Ansatz einbringen konnte. Dass es eben nichts mit heutigen Punk-Klischees zu tun hatte. Man konnte einfach sagen: „Ich mache jetzt da mit.“ Das war wirklich der Versuch, vorgeformte Meinungen und Sichtweisen abzulegen. Und das hat auch eine Weile lang funktioniert und zu einer unglaublichen Blüte neuer Ideen geführt. Zum Beispiel wurde ja die deutsche Sprache – abgesehen vom Schlager – damals in die Pop-Musik eingeführt. Aber über längere Distanz kamen auch wieder die persönlichen Defizite der Leute zum Tragen – Neid und »Besser-sein-wollen-als-die-Anderen«. Es wird sehr deutlich, dass das letztlich der Killer der ganzen Sache war. All das wollte ich eben anhand erinnerter Gefühle oder Geschichten erklären.

Und wie geht es jetzt weiter?

Bis auf ganz wenige Ausnahmen waren die Reaktionen der Leute, d. h. der Interviewpartner, durch die Bank positiv. Genau wie die Pressereaktionen. Das Buch hat sich vom ersten Tag an sehr gut verkauft und im Januar ging es dann noch mal so richtig rund. Auf einmal gibt es ein Spielfilmprojekt mit dem Arbeitstitel „Verschwende Deine Jugend“ – ein Film über DAF. Das Drehbuch wurde von Ralf Hertwig geschrieben, dem ehemaligen Schlagzeuger von Palais Schaumburg. Dann wird es in der Kunsthalle Düsseldorf ab Juli für zweieinhalb Monate eine entsprechende Ausstellung geben. Da bin ich Ko-Kurator und kümmere mich darum, die ganzen Sachen zusammen zu kriegen. Alte Synthesizer, damit die Leute selber mal ausprobieren können, wie das damals war Musik zu machen. Das alte schäbige Schlagzeug von Markus Oehlen (Ex-Mittagspause, Anm.), mit Billardstöcken als Beckenständer usw. Und natürlich diese tollen, riesigen Bühnenbilder von Moritz R (Der Plan, Anm.). Im April soll auch eine Doppel-CD mit großteils bis dato nicht wiederveröffentlichten Sachen herauskommen, wo ich, zusammen mit Frank Fenstermacher vom Plan, für das Tracklisting zuständig bin.

Danke für das Interview.