märz 2002

Didi Neidhart
gehört

Musik

Various Artists

In The Beginning There Was Rhythm

Soul Jazz/Hoanzl

Von 1978 bis 1982 kam aus England eine äußerst radikale Bastardmusik, deren Einfluss in den letzten Jahren vor allem von Jungle/Drum'n'Bass-Acts wie Photek oder Squarepusher reflektiert wurde. Diese zweite Punk-Generation hatte schon erkannt, dass Punk, bliebe er weiß, männlich und auf Bass, Gitarre, Schlagzeug, Gesang beschränkt, nichts weiter als schnelle Rockmusik bedeuten würde. Das Thatcher-Regime und die National Front (die damals immer wieder durch multiethnische Viertel marschierte) taten ihr Übriges dazu. Also wurde – auch musikalisch – an neuen Allianzen gebastelt, die gleich vom ersten Ton an zeigen sollten, woher der Gegenwind herkam. Sprich: Funk, Disco, Soul, Dub, Reggae – Musik der Marginalisierten, der ethnisch wie sexuell Verfolgten. Ziel war dabei nicht das Nachspielen, Nachstellen von »Black Music«, sondern Essenzen (den Rhythmus, die Bedeutung/Politik des Grooves, das isolierte, permanent leicht verschoben wiederholte Gitarrenlicks) herauszudestillieren und damit eben keine Fusion, sondern das totale Gegenteil davon zu betreiben. Musik, deren heterogene Partikel eigentlich jeden Track ex/implodieren lassen müssten, gäbe es neben diesen extremen Fliehkräften nicht jene unsichtbaren Fäden, die das Ganze zusammenhalten würden. So ist auf »In The Beginning There Was Rhythm« Fremdmaterial (also Samples) eben nicht, weil es – etwa als Schallplattensammlung – er/gekauft wurde, verfügbar, sondern weil dieses Material und die darin befindlichen Informationen - das dadurch transportierte (geheime) Wissen - erst einmal erkämpft werden musste. Aber wie das Ding nennen, das in New York zwar »Mutant Disco« und »No Wave« (so zwei damalige Sampler-Titel) genannt wurde, in England sich aber nicht zwischen Abstract Funk, White Funk, Disco-Punk, Unfunky Funk, Punk-Dub, Industrial-Funk/Dub, Punk-Jazz entscheiden konnte/wollte?

Am besten lässt man es einfach sein und wundert sich stattdessen über den äußerst massiven Einfluss von Dub wie die Existenz eines Konzeptes namens »Soundpolitisierung« bei Bands wie The Pop Group oder Gang Of Four. Sonst noch mit dabei: 23 Skidoo, The Slits, A Certain Ratio (deren Support beim ersten New York-Gig eine gewisse Madonna war), Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire sowie Human League. Mehr davon dann hoffentlich demnächst.

LEE PERRY

Scratch Attack!

ras/Ixthuluh

Unter dem Titel »Scratch Attack!« Sind die beiden legendären 1970er Upsetters-Alben »Scratch & Company, Chapter 1« und »Blackboard Jungle Dub« nun endlich wieder erhältlich. Letzteres Album ist bekanntlich das erste echte Stereo-Dub-Album. Was auch daran zu erkennen ist, dass hier all die lustigen (Dub-)Geräusche gleich doppelt so laut wie die eigentlichen Riddims sind. Auch auf »Scratch & Company« wird heftigst mit den Manipulationsmöglichkeiten von Mischpulten gearbeitet. Klingt alles natürlich wie nicht von dieser Welt. Gerade wenn Perry Riddims komplett im Echo-Dschungel absaufen/verschwinden lässt und nur noch Echos der Basswellen im/durch den Raum schweben, wird exemplarisch genau jener futuristische Phantomfunk generiert, der Jahre später (u.a. als Jungle oder Breakbeat Science) für heftigste Diskussionen sorgen sollte.

KING TUBBY

Firehouse Revolution – King Tubby's Productions In The Digital Era 1985 – 89

Pressure Sounds/Ixthuluh

Endlich! Dub-König King Tubby und seine digitalen Arbeiten von 1985 bis zu seinem gewaltsamen Tod 1989. Eigentlich alles, was man über die Quellen von Ragga/ Dancehall und Jungle in den 90er wissen/kennen muss. Hier sind sie nämlich, die fetten Synthie-Bässe jenseits der Hörränder, die in bis dato unerreichbare Sub-Bereiche verweisen. Allein Tubbys Bearbeitung von Wayne Smiths »Under Me Sleng Teng« zeigt, wie man ein Riddim mittels digitaler Pyrotechnik durch ein Wurmloch jagen kann (wurde später ja auch von UK Apachi & Shy FX für den Jungle-Klassiker »Original Nuttah« heftigst gesampelt.). Dem nicht genug gibt es auch noch eine »Version« davon, die klingt als käme sie direkt von einem Techno-Dub-Abend in Sun Ras »Disco 3000« auf dem Saturn. Musik wie ein UFO!

Didi Neidhart

Lauschtipp: Cafe Bizarre – Sonic Adventures mit Didi Neidhart, jeden Sonntag, von 18.00 – 19.00 auf der Frequenz der Radiofabrik (107,7 MHz). Gehört gehört!