märz 2002

gelesen

Bücher

Pierre Bourdieu

Gegenfeuer 2

Für eine europäische

soziale Bewegung.

Konstanz 2001,

UVK - Universitätsverlag Konstanz

Pierre Bourdieu

Gegenfeuer.

Wortmeldungen im Dienste

des Widerstands gegen die

neoliberale Invasion.

Konstanz 1998,

UVK - Universitätsverlag Konstanz

Zwei nicht mehr ganz druckfrische, nichtsdestotrotz aber noch immer äußerst lesenswerte Bücher des französischen Soziologen und Philosophen Pierre Bourdieu müssen an dieser Stelle nachhaltig empfohlen werden. Trauriger Anlass ist das krebsbedingte Ableben des Autors am 23. Januar in Paris. Der Paradeintellektuelle Bourdieu nahm im französischen Wissenschaftsbetrieb gleich in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmestellung ein: Im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen, die vom Feuilleton mehr oder weniger treffend das Etikett Meisterdenker auf ihre gerunzelte Stirn gepickt bekommen, verzichtete Bourdieu weder auf intensive empirische Feldarbeit, noch beließ er seine Erkenntnisse im akademischen Elfenbeinturm. Stattdessen griff er in den 90er Jahren verstärkt in die Politik ein und etablierte sich - neben Noam Chomsky - als einzige intellektuelle Galionsfigur der globalisierungskritischen Bewegung. Bourdieus heiliger Zorn richtete sich gegen die neoliberale Ideologie, jene „hinterhältigen Mächte des Marktes“, die die grenzenlose Ausbeutung der Menschen Realität werden lassen. In »Gegenfeuer« findet sich eine Sammlung von leicht lesbaren Zeitungsartikeln, Interviews und Vorträgen, in denen der Starsoziologe Klartext spricht und die Idee eines europäischen Sozialstaates verteidigt. Moderner Agit-Prop, der für die Modernisierungsverlierer und Unterschichten (aus denen Bourdieu selbst stammte) Partei ergreift. Doc Holliday

Franz Innerhofer

Schöne Tage

München 1993, dtv

Im Jänner wurde die Leiche des in Krimml geborenen Franz Innerhofer in seiner Grazer Wohnung gefunden. Der zuletzt in Vergessenheit geratene Autor hatte sich Tage zuvor erhängt. Und sich damit in eine illustre Runde von heimischen Schriftstellern begeben, die - getreu dem österreichischen Bonmot: wenn alle Strick reißen, häng ich mich auf - den Selbstmord wählten: Konrad Bayer oder Jean Amery (1978 in Salzburg) sind nur zwei prominente Beispiele. Viele österreichische Autoren behandelten den Suizid in ihren Büchern: Peter Handke, H. C. Artmann, Josef Winkler oder Thomas Bernhard. Letzterer schrieb in »Die Ursache« über Salzburg als den „durch und durch menschenfeindlichen, architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalistisch-katholischen Todesboden“. Tatsächlich belegt Salzburg in der österreichischen Selbstmordstatistik hinter Kärnten und vor der Steiermark den zweiten Rang.

1974 erschien Innerhofers erster Roman »Schöne Tage«. Die neue realistische Schreibweise, die den Pinzgauer mit Gernot Wolfgruber oder Michael Scharang verband, erregte Aufsehen und löste Proteststürme aus. Die Vertreter des Bauernbundes und des Raiffeisenverbandes fühlten sich von den ungeschönten Beschreibungen des so gar nicht idyllischen Landlebens mehr als provoziert und beschimpften den Autor als Nestbeschmutzer und Dreckschleuder. Innerhofer schildert die autobiographische Geschichte eines unehelichen Kindes auf einem Bergbauernhof. Das Leben dort im »Bauern-KZ« ist brutal, die Dorfgemeinschaft intolerant und heimtückisch. Die reinste Hölle auf Erden, die der Protagonist des Buches letztlich doch überwindet. In den beiden Folgeromanen »Schattseite« und »Die großen Wörter« entwickelt sich der Held vom sprachlosen Leibeigenen zum Schriftsteller. In der Realität freilich zu einem, der den Literaturbetrieb verabscheute. Diejenigen, die ihn für einen der beeindruckendsten heimischen Nachkriegsromane seinerzeit beflegelten, sitzen aber noch immer an ihren Machtpositionen. Doc Holliday

Oliver Rathkolb (Hg)

NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der »Reichswerke Hermann Göring AG Berlin« 1938-1945

Zwei Bände, Band 2 verfasst

von Karl Fallend

Böhlau Verlag Wien-Graz-Weimar 2001

Als eines der ersten Unternehmen Österreichs hat sich die VOEST ALPINE AG mit den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte auseinandergesetzt. Von führenden Experten wurden dabei 38.000 Personal- und Lohnunterlagen der Linzer Betriebe der »Reichswerke Hermann Göring AG Berlin« aus den Jahren 1938–1945 umfassend ausgewertet.

Band 2 der Studie wurde vom Psychologen Karl Fallend verfasst. In psychoanalytisch orientierten Erinnerungsinterviews mit 38 Überlebenden versucht er, die psychischen Realitäten der Gesprächspartner, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie KZ-Überlebenden zu erfassen. Es geht dabei um lange tabuisierte, extrem traumatische Erlebnisse, die für viele nach 50 Jahren zum ersten Mal zur Sprache kamen. Nach Linz verschleppt, während der Zwangsarbeit unterdrückt, entwürdigt und verwundet, waren sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat als VerräterInnen stigmatisiert – wer lebend zurückkommt, muss doch wohl ein Kollaborateur gewesen sein. Fallend ist es auch zu verdanken, dass dieses Material nicht nur in Bibliotheken verschwindet: Das nach seinen Texten entstandene Theaterstück »An wen soll ich schreiben? An Gott?« wurde im Jänner im Linzer Landestheater zur Aufführung gebracht. Gerald Gröchenig