jänner-februar 2002

Didi Neidhart
gehört

Musik

Sampeldelicatessen

Bekanntlich sind die ganz guten Sampler jene, die wie Kassetten von Fans für Fans zusammengestellt sind. Wobei sich im besten Fall die Erwartungshaltungen der Beschenkten mit dem Missionarseifer der Kassetten-Zusammensteller die Waage halten sollten. Sonst ist's ja auch keine Überraschung nicht. »Les Chansons Des Perverts, Vol.1« (Crippled Dick Hot Wax) übererfüllt nun genau diese Voraussetzungen. Wir kennen das Label ja schon von diversen Wiederveröffentlichungen aus den Giftschränken der letzten Jahrzehnte (deutsche Krimi-Soundtracks aus den 60ern/70ern, Songs aus TV/Kino-Werbungen der 70er, etc.). Bei aller Nerdigkeit und diversen Resterlverwertungs-Transfers für smoothen Cafehaus-Trip Hop blieb jedoch immer noch genügend Platz für schmuddelige Trash-Ästhetiken. Die gibt es auch auf den Liedern der Perversen. Was hier kurz zusammengefasst alles zwischen obskuren Soundtracks (»Hell Angels 69«), den Neo-Psycho-Exotica-Helden Anubian Nights (die unlängst mit Lydia Lunch im Studio waren), Weltraum-Disco (Odyssey Orchestra, Mystic Moods Orchestra) und Jazz als Halbseidenheit meint. Sozusagen Musik zwischen den Polen Herbert Fux und Klaus Kinski. Ähnliches unternimmt auch »Underground Moderne« (Nova Records). Nach tollen Samplern über Funk, Groove und Soul (»Nova Classics«) laden nun Acts wie Suicide, Can, Tim Buckley, Frank Zappa, Funkadelic, Moondog, oder das Art Ensemble Of Chicago mehr oder weniger zum Tanz ein. Fern aller Kraut&Rüben-Beliebigkeiten entsteht so auch eine wilde, in alle Richtungen ausströmende Underground-Diskurs-Maschine feinster Auswahl. Wobei Heldons »Le Voyage« vom 1974er Kult-Album »Electonique Guerilla« diesen Anspruch noch doppelt unterstreicht. Ist doch »Sänger« dieser psychedelischen Electronic-Jazz/Rock-Reise niemand anderer als der französische Pop-Philosoph Gilles Deleuze. In diesem Sinne: Rock The Rhizome!

DREXCIYA

Harnessed The Storm

Tresor

Die Unterwasser-Guerilla von Drexciya gehört wohl zu den geheimnisumwittersten und am anonymsten arbeitenden Abteilungen des eh schon schwer kryptisch und im Verborgenen agierenden Detroiter Techno-Labels Underground Resistance. Wenigstens schicken sie alle paar Jahre via dem Berliner Techno-Label Tresor ihre akustischen Torpedos los. Und die gehören mit zum Besten derzeitiger Electronic-Musik. Haben sich Drexciya doch nicht nur ihre eigenen Mythen geschaffen (sie verstehen sich als Nachkommen jener »Water Babies«, die, nachdem ihre schwangeren Mütter von Sklavenschiffen auf dem Weg von Afrika nach Amerika über Bord geworfen wurden, unter Wasser zur Welt gekommen sind und sich als submarine Lebensformen weiterentwickelten). Auch ihre Musik geht weit über Techno hinaus. Ist nicht nur Kraftwerk 20.000 Meilen unter dem Meer. Hier trifft sich viel eher die Afro-Nautik eines Sun Ra mit ungut grummelndem Manta-Rochen-Funk aus einem schwer befestigten schwarzem Atlantic.

Motto: »Digital Tsunami«. Kein Wunder daher, wenn Tracks mit Titeln wie »Song Of The Green Whale« wie mächtig schwerelose Electro-Funk-Tauchgänge daherkommen und dabei eben nix mit esoterischen Walgesängen zu tun haben. Klassiker!

HERBIE HANCOCK

Future 2 Future

Columbia

Von allen Musikern, die Miles Davis zu Zeiten seiner elektrischen Phase begleiteten (Ende der 60er bis Mitte der 70er), gehört Herbie Hancock wohl zum Einzigen, der den dort entwickelten Wahnsinn zwischen Jazz, Elektronik und Funk konsequent weiter geführt hat. Weshalb auch sein 80er-Electro-Hit »Rockit« irgendwie ganz logisch kommen musste. Knapp 20 Jahre später (und auch wieder mit Bill Laswell zur Seite) ist es nun nicht mehr Electro-Funk, sondern Drum'n'Bass. Ironischerweise begibt sich Hancock damit auf »Future 2 Future« aber eher in die kreativsten Phasen seiner eigenen Vergangenheit zurück. Zusammen mit Beat-Programmierern wie Carl Craig, A Guy Called Gerald, alten Bekannten (Jack DeJohnette, Wayne Shorter) und DJs wie Rob Swift und Grandmixer DXT wird dann auch klassischer Hancock-Funk mit durch Drum'n'Bass-Technologien aufgefrischten Groove-Unterböden präsentiert. Klingt bei allem aber weniger nach Retro als es hier vielleicht erscheinen mag. Hancock hat seine akustischen Fühler schon am Puls der Zeit, weiß dabei aber auch, wie viel davon schon mal von ihm angedacht wurde und legt sich dementsprechend inspiriert in die Tasten. Einfach etwas Jazzy zu Drum'n'Bass-Grooves rübernudeln, ist seine Sache jedenfalls nicht. Ein Hit wie »Rockit« ist natürlich nicht mehr drinnen, aber dafür weiß Hancock immer noch, wie man einen Synthesizer zum Funken bringen kann. Wenn auch diesmal dezenter als vor 20 bis 30 Jahren. Einzig der Versuch, den Monster-Track »Hornets« (vom 1973-Album »Sextant«) als »Virtual Hornets« neu zu beleben, geht durch zuviel Fusiongejazzel daneben.