jänner-februar 2002

gelesen

Bücher

Stefan Heym

Pargfrider

München 2000, BTB/Goldmann TB

Am 16. Dezember 2001 verstarb der deutsche Journalist und Schriftsteller Stefan Heym in Israel. 1913 in einem jüdischen Elternhaus in Chemnitz geboren, emigrierte er in die USA, um in amerikanischer Uniform gegen die braune Pest kämpfend zurückzukehren – nachdem fast seine gesamte Familie von den Nazis ausgerottet worden war. 1952 verließ er seine Wahlheimat USA: Die Kommunistenjagd der Mc Carthy-Zeit machte Heym erneut zum Opfer politischer Verfolgung. Wie viele Linke setzte er zuerst große Hoffnung in die DDR. Um schon bald einer ihrer schärfsten Kritiker zu werden, aber ohne seine sozialistischen Ideale über Bord zu werfen. Eine »Chuzpe«, die ihm die bürgerlichen Feuilletonisten, die Zerberusse der freien Marktwirtschaft, bis über seinen Tod hinaus nicht verzeihen können. Vokabel wie „Starrsinn“, „Blindheit“ und „Blauäugigkeit“ dominierten denn auch die Nachrufe dieser Kulturscharfrichter. Dabei hofierten dieselben Schreiberlinge bis 1989 den Vorzeigedissidenten. Wer sich aber die Widerspenstigkeit auch im Kapitalismus bewahrt, verspielt seinen Kredit.

Im ursprünglich 1998 veröffentlichten Roman »Pargfrider« wendet sich Heym, wie zuvor in »Lenz« oder »Lassalle«, wieder einer historischen Gestalt zu. Er lässt die Titelfigur, den Tuchhändler Joseph Pargfrider (1787 bis ca. 1858), seine Lebensgeschichte erzählen: Ein jüdischer Halbwaise, der sich schnell zum Hoflieferanten der kakanischen Armee, die er mit Kleidung versorgt, hocharbeitet. Der Antisemitismus seiner Umwelt und Intrigen prägen das Leben Pargfriders. Am Ende muss er feststellen. dass alle seine »Freunde« käuflich waren. Die Schilderung der Gegensätze zwischen Arm und Reich, Antisemit und Jude sowie Romantik und Aufklärung machen das Buch trotz einer gelegentlich etwas langatmigen Erzählweise zu einer lohnenden Lektüre. Wem dies aber nicht behagt, findet vielleicht an den früheren Werken Heyms mit ihrem »journalistischen« und bisweilen kolportagehaften Stil mehr Gefallen.

Doc Holliday

Johannes Ullmaier

Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur

Mainz 2001, Ventil Verlag

Popliteratur?!? Der Begriff lässt das Schlimmste befürchten. Werden unter diesem Etikett in den letzten Jahren doch hauptsächlich Bücher von Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht oder ähnlichen Lifestyle-Apologeten subsumiert, deren pathologisches Schnöseltum seit den späten 90ern die ebenso langweilige wie geschwätzige Begleiterscheinung der neoliberalen Politik der »neuen Mitte« darstellt. Hype und Hybris gehen bei diesen konformistischen Snobs eine profitable Allianz ein.

Ein besonderes Lob gebührt dem Autor Johannes Ullmaier für seinen Fleiß: »Von Acid nach Adlon...« ist schlicht und einfach die umfassendste und materialreichste Sammlung zum vielfältigen Thema. Eine Dokumentation mit Patchworkcharakter. Dafür sorgt allein schon die feine Aufmachung. Das Buch ist zweispaltig gesetzt. Links und rechts vom Haupttext stehen Zitate, Fotos, Abbildungen von Plakaten, Flyern, Buch- und Plattencover. Ullmaier widmet sich eher der Aufzählung, die kritischen Urteile kommen von den GesprächspartnerInnen des Autors: Thomas Meinecke, Franz Dobler, Kathrin Röggla, dem Gründer des legendären März-Verlags, Jörg Schröder, vom gewohnt diplomatischen kf-Mitarbeiter Wiglaf Droste und anderen. In vier Kapiteln, „Trips“ genannt, geht die Reise vom Nobelhotel Adlon, in dem sich die aktuellen Medienlieblinge zwecks dreister Promotion im Salon platzierten, zurück zu den Anfängen, der Beatliteratur der 60er Jahre (1969 erschien die wichtige Anthologie »Acid«), über die „genialen Dilettanten“ der Punk- und Wave-Bewegung wieder zurück in die Gegenwart der Social-Beat und Slampoetry-Zirkel. Dazu bekommt der geneigte Leser noch eine 42-seitige kommentierte und illustrierte Bibliographie aus den letzten 40 Jahren, in der aus österreichischer Perspektive weder Oswald Wiener noch Hermes Phettberg fehlen. Ja sogar einige Frühwerke Günter Brödls finden Erwähnung. Einzig den Grazer Alfred Paul Schmidt scheint Ullmaier nicht zu kennen. Als weiterer Bonus liegt diesem empfehlenswerten Standardwerk eine CD mit 49 Hörzitaten bei.

Doc Holliday

Karl Heinz Ritschel

Salzburger Miniaturen 2

Salzburg 2001, Otto Müller Verlag

Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wohin er geht. Die alte (HistorikerInnen-)Binsenweisheit gilt auch und gerade für so manche Diskussion, die sich derzeit um die Gestaltung von Salzburgs Plätzen, Straßen oder ganzen Stadtvierteln entspinnt. Karl Heinz Ritschel – von 1964 bis 1995 Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten« – hat sich der Aufklärung des »Woher« verschrieben. Jeden Samstag Vormittag bringt er kleine Geschichten aus der Salzburger Geschichte den HörerInnen von ORF-Radio Salzburg näher. Mit dem vorliegenden Auswahlband hat der Otto Müller Verlag bereits die zweite Sammlung solcher Miniaturen von »K.H.R.«, wie er selber viele seiner Artikel und Kolumnen zeichnete, veröffentlicht. Vieles von Ritschel Zusammengetragene findet sich in keinem Geschichtsband und ist auch historisch Versierten nicht bekannt. Wer weiß schon, warum die Getreidegasse so heißt. Ritschel erzählt im zweiten Band seiner Miniaturen auch vom alten Hotel de l'Europe oder von der Entstehung der Rechten Altstadt, als diese noch nicht Altstadt war. Und obwohl der ehemalige »SN«-Chef selbst zu den Bewahrern zählt und wiederholt gegen die brutale Verbauung und Verschandelung von Kulturgütern – zuletzt auch im »kunstfehler« gegen das Stadion vor den Toren des Barockjuwels Klessheim – aufgetreten ist, sind seine historischen Miniaturen Dokumente der Entwicklung und »Beweis« dafür, dass selbst wehrhafteste Stadttore und prunkvollste Nobelbauten früher oder später einmal der Spitzhacke zum Opfer fallen.

Thomas Neuhold

Klaus Nüchtern

Rain on my crazy Bärenfellmütze

FALTER Verlag 2001

„Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die es kaufen.“ Wenn der geschätzte Kollege Klaus Nüchtern vom »Falter« schon so ehrlich ist, was seine Motivation angeht, über 70 Stück seiner wöchentlichen Kolumne »Nüchtern betrachtet« in gebundener Form zu veröffentlichen, dann soll es der Rezensent auch sein. Erstes Geständnis: Ich lese den »Falter« und damit auch Nüchterns Glossen selten. Zweites Geständnis: Das Büchlein liest sich am besten am Häusl – eine Geschichte pro Sitzung. Was mehr über die Länge der Texte und über eine funktionierende Verdauung aussagt, als über die Qualität der Kurzgeschichten. Die sind nämlich weit besser, als das wirklich nicht besonders originelle Wortspiel mit des Redakteurs Namen vermuten lässt. Schuld am Kolumnentitel ist ein gewisser Armin Thurnher, welcher in einem Aufzug einen folgenschweren Satz von sich gegeben haben soll: „Mit ihrem Namen sollten Sie eine Kolumne schreiben.“ Am besten ist Nüchtern, wenn er übers Alltägliche nachdenkt. Exemplarisch sei folgender von Lebensweisheit nur so strotzender Satz angeführt: „Von einem Wirtshaus erwarte ich mir (...), dass ich nicht überlegen muss, ob ich auch zur Inneneinrichtung passe.“ Das sitzt. (und ich könnte dieses Jahr doch öfter in den »Falter« reinschauen.)

Thomas Neuhold