jänner-februar 2002

Didi Neidhart
im gespräch

Thomas Meinecke: Sprache auf Reisen

Nach »The Church Of John F. Kennedy« und »Tomboy« legt der Schriftsteller, Musiker (FSK) und Radio-Discjockey (»Zündfunk« auf BR2) Thomas Meinecke mit »Hellblau« (Suhrkamp, 2001) nun schon den dritten Roman zum Thema Konstruktion von Identitäten vor. Ging es bisher um die Problematiken nationaler Zuschreibungen und um »Gender Troubles«, so kreiseln und oszillieren diese Issues nun zusammen mit Fragen nach der Konstruktion ethnischer Identitäten durch die Seiten. Heraus kommt dabei eine »Pop-Literatur« als lustvolle wie politische Diskursmaschine, bei der es mächtig über die Ränder schwappt.

Mit dem Themenkomplex Judaica begibt sich »Hellblau« auf extrem sensibles Terrain. Als deutscher Autor etwa den Staat Israel kritisch zu hinterfragen stelle ich mir nicht wirklich unkompliziert vor. Jedoch werden im Buch dazu hauptsächlich jüdische Quellen herangezogen. Das reicht vom »Antizionismus der Chassidim« in New York bis zu Daniel Boyarins Buch »Unheroic Conduct« in dem u.a. Theodor Herzl wegen seiner Unterscheidung zwischen „the queer effeminate Ostjude“, also dem femininen jüdischen Mann, und „the straight modern Jew“ kritisiert wird.

Wie es bei »Tomboy« reizvoll war als Mann ein Buch über Frauen zu schreiben, so war es jetzt reizvoll als Deutscher ein Buch über Juden zu schreiben. Komischerweise ist da bis jetzt noch gar nichts passiert. Etwa dass mir Leute eine Unernsthaftigkeit unterstellt hätten. Ich hatte superinteressante Gespräche mit jüdischen Leuten wie Sander Gilman, der das Buch über jüdischen Selbsthass geschrieben hat, die alle viel damit anfangen können. Nichts wäre mir unangenehmer, als wenn man mich in die Nähe von typisch neudeutschen Trampeleien auf sensiblem Terrain oder so einfühlsam verkitschtem Philosemitismus bringen könnte. Und da muss man sich schon auf die richtigen Quellen stürzen. Aber das waren eher Kettenreaktionen. Ich wurde nach einer Lesung von »Tomboy« in New York gefragt, ob ich schon einmal in Williamsburg gewesen sei, weil es dort noch eine Art Stedl mitten in New York gäbe. Ich war natürlich noch niemals dort, bin dann am nächsten Tag da reinspaziert und war seitdem mehrfach dort. Ich habe mich dann auch kundig gemacht und fette Bücher von US-amerikanischen Universitätsverlagen verschlungen. Da ging es dann auch um Konflikte zwischen Juden und anderen ethnischen Gruppierungen in Brooklyn, aber auch um Zusammenschlüsse zwischen Juden, auch orthodoxen, und Afro-Amerikanern. Da habe ich mich einfach durchgearbeitet. Ich habe mich dabei nicht nur auf diese jüdische Identität kapriziert, sondern auch auf das, was da mitschwingt. Eben den jüdische Mann, der per se nicht männlich ist. Außer er wird Zionist.

Dabei wird auch dem Verhältnis der aktuellen Bundesrepublik zur deutschen Geschichte viel Platz eingeräumt.

Du kannst es auch Holocaust nennen. Interessanterweise wurde dieses Thema bis jetzt in der ganzen Rezeption überhaupt nicht betont. Es gibt sehr viele Geschichten, die die Kontinuität des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik zum Thema haben. Was ich vor dem Hintergrund der militärischen Aktivitäten der Bundeswehr der letzten Jahre, nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Kosovo, äußerst aktuell finde. Ich behaupte ja, dass sich Deutschland da nicht befreit hat und von daher auch kein Recht auf eine sich exkulpierende Beschäftigung mit der Geschichte hat. Angefangen von Bitburg bis hin zum Max Planck-Institut, das noch 1990 in einer Selbstdarstellung die NS-Rassengesetze als wichtig für Forschung und Lehre beschrieb. Ich glaube, dass es überhaupt nicht denkbar ist, diesen ganzen Komplex aus dem deutschen Alltag auszublenden. Gerade jetzt, wo eine Generation am Regieren ist, die mit dem Dritten Reich nicht mehr primär als Täter in Verbindung steht. Aber als diejenigen, die gerade Geschichte schreiben, besteht ihre Täterschaft jetzt darin, dass sie sich von diesem Ballast loslösen wollen.

Das sehe ich nicht ein.

In einem Interview zu »Tomboy« hieß es, dass sich während der Arbeit daran Anti-Feminismus und Anti-Semitismus als noch offene Fragen und Problemfelder heraus entwickelt haben. In »Hellblau« gibt es aber noch ein drittes Element. Es geht auch um »Black Music«.

Es war noch vieles ungeklärt in Hinsicht auf diese Rasse wie auch Geschlecht immer parallel ausschließenden Mechanismen. Du kannst nicht über »Rasse« reden ohne auch »Geschlecht« zu meinen. Ein Thema von »Tomboy« war jüdischer Selbsthass als weiblicher Selbsthass von Männern. Exemplarisch dargestellt an Otto Weiniger, der sich nicht nur deshalb umbrachte, weil er den Juden in ihm hasste, sondern auch die Frau in ihm. Von daher war es klar, sich noch einmal auf die Konstruktion von Ethnizität zu beziehen. Dann hatte ich plötzlich diesen zentralen jüdischen Komplex Diaspora. Nicht nur als Problem, sondern auch als Chance im Sinne eines nicht am eigentlichen Ort Seins. Sprache ist für mich dann interessant, wenn sie nicht an ihrem eigenen Ort stattfindet. Da kommt Ironie rein und wahrscheinlich die Fähigkeit zu dem, was man als den jüdischen Witz begreift, der sogar noch über den Holocaust hinaus bestanden hat. Diaspora ist zudem die zentrale Erfahrung von Juden wie von Afro-Amerikanern. Viele Jazz- und Rhythm & Blues-Komponisten waren Juden. Ebenso waren Juden meist die einzigen Weißen, die sich überhaupt in schwarze Viertel begaben und zusammen mit Schwarzen in Bands spielten. Auch ist der Jive-Talk mit sehr vielen jüdischen Idiomen durchsetzt. Von daher war es auch interessant zu erkennen, dass sich klassisches Hipstertum vor allem durch „Black Jews“ wie Slim Gaillard und jüdische „White Negroes“ wie Milton Mezzrow definierte. Black Music wie das Jiddische haben schon immer von dieser Dissonanz und Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem gehandelt. Kurz: Yiddle on your fiddle.

Was »Hellblau« auf alle Fälle produziert, sind irrsinnig viele Fragen. Vieles wird nur angedacht. Das Denken befindet sich ständig auf Reisen. Das ist aber auch ein Vorwurf, der sogenannter Popliteratur immer wieder gemacht wird, wo Verständigung mit der Leserschaft nur über cooles Wissen innerhalb einer esoterischen Mini-Szene zu funktionieren scheint.

Diesen Vorwurf kenne ich. Aber genau da bekomme ich Lust zu überlegen, wie ich diese nichtproduktiven Missverständnisse noch ausklammern kann. Es geht nicht um elitäre Wissenssachen, sondern um offene Fragensachen und die damit verbundene Lust am Denken. Ich muss nicht Herr über meinen Text sein. Da schwimmt viel herum, das aufgeladener ist, als ich es überhaupt weiß. Der Luxus der Literatur ist es ja, nicht zu Ende denken zu müssen.

Danke für das Gespräch.