jänner-februar 2002

Georg Wimmer

Abschreckende Wirkung

Ein halbes Jahr nach der Anti-WEF-Demo sehen sich Globalisierungskritiker mit kuriosen Vorwürfen konfrontiert.

Franz Thalmair zögert nicht lange, wenn die Pflicht ruft. An diesem Sonntag hätte der Zivildiener und studierte Romanist um 20.00 Uhr seinen Dienst bei der mobilen Altenbetreuung antreten sollen. Am Nachmittag war er auf die Demo gegen das in Salzburg tagende World Economic Forum (WEF) gegangen. Um 19.30 Uhr saß er noch immer im Kessel in der Wolf-Dietrich-Straße fest. Ende nicht absehbar. Während im Kessel die Verunsicherung zunahm und die Situation zu eskalieren drohte, erschien Bürgermeister Heinz Schaden auf der Bildfläche. Schaden, um eine friedliche Lösung bemüht, verhandelte mit Teilen der Exekutive und rief dann den DemonstrantInnen in den ersten Reihen zu: „Ihr müsst's eure Ausweise nicht zeigen! Geht’s raus! Eure Taschen werden ang'schaut, aber ihr braucht's keine Ausweise hergeben! Verlasst's euch jetzt drauf bitte! ... Alle, die freiwillig gehen wollen, dürfen gehen! ... Geht's raus!“ Franz Thalmair ging raus. Prompt landete er im Arrestantenwagen. Gemeinsam mit zehn weiteren Personen wurde er in das Polizeigefängnis gebracht und durfte dieses erst in den frühen Morgenstunden wieder verlassen. Monate später erreichte ihn ein blauer Brief.

Der Vorwurf: Franz Thalmair habe „trotz Aufforderung“ eine illegale Versammlung nicht verlassen. Nun drohen ihm eine Verwaltungsstrafe und mehrere Tausend Schilling Geldbuße. Sein Anwalt Johann Buchner wird freilich eine Reihe von Zeugen aufrufen, um die Dinge ins richtige Licht zu rücken, u. a. soll Bürgermeister Heinz Schaden aussagen, was wirklich geschah.

Nicht weniger kurios der Fall von Hans Peter Grass, dem Leiter des Friedensbüros. Grass hatte als Privatperson an dem Protest teilgenommen: „Als ich mit den Demonstranten eingekesselt wurde, stellte ich mich aber in die erste Reihe, um zu vermitteln, um bei der Deeskalation zu helfen.“ Dabei geriet auch Grass in Polizeigewahrsam, wurde erkennungsdienstlich behandelt und einvernommen. Da er seitdem nichts mehr von der Polizei gehört hat, weiß Grass nicht, was ihm genau vorgeworfen wird. Nun vermutet er, dass die Polizei die Sache einschlafen lassen möchte, „weil sie nichts in der Hand hat“. Eine Hoffnung, die Polizeisprecher Rudolf Feichtinger nicht nähren kann. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Akt mit insgesamt 54 beteiligten Zivilpersonen, denen in den allermeisten Fällen zumindest Landfriedensbruch sowie (versuchter) Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Last gelegt wird. Die ungewöhnlich lange Dauer der Ermittlungen begründet Feichtinger damit, dass man noch auf Ergebnisse aus Wien warte. Dann werde der Akt an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Für Franz Thalmair ist klar, dass die versuchte Strafverfolgung der Exekutive abschreckende Wirkung im Hinblick auf das nächste WEF haben soll. In seinem Fall, das gibt er unumwunden zu, hat diese Taktik auch Erfolg. Er werde zwar in Zukunft weiterhin gegen eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung protestieren, die Teilnahme an nicht genehmigten Aktionen wolle er aber tunlichst vermeiden. Im Frühjahr wird Thalmair für seine Doktorarbeit ein Auslandssemester antreten. Und hofft, dass er dabei weder mit der Polizei in Kontakt kommt, noch dass seine Daten gegebenenfalls von der österreichischen Exekutive weitergegeben werden. Die Gefängnisse in Italien sollen ja nicht besonders gemütlich sein.