jänner-februar 2002

Wiglaf Droste

Robustes Mandat auf der Straße

7.000 Verkehrstote beweisen: Die Deutschen sind längst kriegsfähig

Im verbündeten Ausland haben die Deutschen keinen besonders guten Ruf. Sie gelten als blutrünstig, als germanisch düster – und gleichzeitig als unzuverlässig und feige. Wenn US-amerikanische und britische Militärs für westliche Weltordnung sorgen, möchten sie die Deutschen nur als Hilfstruppen dabei haben: Deutsche Politiker sollen dafür sorgen, dass der Kriegseinsatz von ihrer Bevölkerung als ein humanitärer und notwendiger akzeptiert wird. Im Jugoslawienkrieg gelang das vor allem Joseph Fischer und Rudolf Scharping ganz ausgezeichnet und sie wurden von Nato-Sprecher Jamie Shea nachdrücklich dafür gelobt und getätschelt. Auch im Afghanistankrieg funktionierte es: Gerhard Schröders „uneingeschränkte Solidarität“, also das freiwillige Abgeben des kritischen Restpotentials an der Garderobe, wurde durchgesetzt, Kritiker wurden zur Räson gebracht oder marginalisiert. Doch all die Anstrengungen und Absichtserklärungen fruchten nicht richtig: Bei ihren Seniorverbündeten sind deutsche Truppen noch immer nicht als gleichwertig akzeptiert; man sieht sie ungefähr so gern wie »Kamerad Schnürschuh«, die Österreichversion des Landsers.

Diese Zurückweisung wurmt diejenigen Deutschen, die durch einen aktiven Einsatz deutscher Soldaten endlich aus dem Schatten der deutschen Vergangenheit treten wollen. So absurd es klingt, so ist es doch eine politische Tatsache: Die Verbrechen der Deutschen im zweiten Weltkrieg werden erst dann nicht mehr gegen die Deutschen in Stellung gebracht werden, wenn sie sich aktiv und gleichberechtigt an neuen Kriegshandlungen beteiligt haben – Handlungen, die ihrerseits durchaus verbrecherisch sein können, denn den humanen, guten Krieg, der Skeptikern versprochen wird, gibt es nicht.

Um also ein neues Kapitel der Geschichte aufblättern zu können, betonen deutsche Politiker so lärmend wie monoton die dringende Notwendigkeit einer Kriegbeteiligung und bieten den „robusten Einsatz“ ihrer Soldaten in den Krisengebieten der Welt an wie saures Bier. Was soll das sein, ein „robuster Einsatz“? Robust kommt von »robus«, dem lateinischen Wort für Eiche, und bedeutet laut Duden so viel wie „stämmig, vierschrötig, stark, widerstandsfähig, unempfindlich, derb“. Kein Klischee über die Deutschen, das dabei ausgelassen wäre.

Dabei wäre es so viel leichter für die Landsleute, sich als fähige Krieger zu empfehlen. Sie bräuchten nur darauf hinzuweisen, wie kompetent sie einander im Straßenverkehr umzubringen wissen: Knapp 20-mal am Tag tötet ein Deutscher einen anderen mit seiner Lieblingswaffe, dem Auto.

7.000 Verkehrstote in einem Jahr können sich sehen lassen, da erkennt man die unbedingte Bereitschaft zum Blutvergießen, da können die Amerikaner und die Briten doch nicht länger meckern über die ängstlichen Deutschen!

Vielleicht haben die Deutschen bisher nur den Fehler gemacht, die falschen Truppen anzubieten; mag das Ausland der Bundeswehr auch nichts zutrauen – auf den deutschen Autofahrer ist Verlass, der ist im Felde unbesiegt. Und dass die deutschen Statistiker frohlocken, „nur 7.000 Verkehrstote“ im vergangenen Jahr bedeuten einen Rückgang um zehn Prozent, können Schröder und Fischer bei ihren nächsten Truppenandienungsversuchen ja unter den Tisch fallen lassen.

Der sich pazifistisch nur schminkende Patriotismus, der nichts dagegen hat, dass andere ihr Leben lassen, solange nur kein deutsches Blut vergossen wird, ist so abstoßend wie Patriotismus eben ist. Man kann aus humanistischen Gründen jeden Krieg ächten und Krieg führende Politiker für diplomatische Versager halten – ich zum Beispiel tue das –, einen deutschen Sonderweg fordern aber kann man nicht, ohne sich als Nationalchauvinist zu entlarven. Das Gezeter über verletzte deutsche Soldaten im UN-Einsatz bekommt einen bösen Zungenschlag, wenn tote Soldaten anderer Nationen nicht einmal eine Meldung wert sind. Um die Absurdität einer deutschen Debatte perfekt zu machen: Selbstverständlich sollen deutsche Soldaten in den Krieg geschickt werden – dazu sind sie schließlich da. Zur Zeit hätten sie Gelegenheit, rückständigen afghanischen Menschen zu zeigen, was mit dem Krieg gegen das Land, in dem sie leben, verteidigt wurde: die westliche Zivilisation. Und die beinhaltet ausdrücklich das Recht, sich massenhaft umzubringen, solange man dazu nur ein Automobil benutzt. 7.000-mal im letzten Jahr in Deutschland. Das haben deutsche Soldaten schon lange nicht mehr geschafft.