dezember 2001

gelesen

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Bücher

Slavoj Zizek:

Die Tücke des Subjekts

Suhrkamp 2001

Was ist eigentlich aus der Philosophie geworden? Angesichts ihrer Mutation zur »kritischen Medientheorie«, die nach dem Golfkrieg jetzt zum zweiten Mal beinah total als Zynismusmaschine versagt, keine schlechte Frage. Gut dass sich widerspenstige Theoretiker wie der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker diesem Thema immer noch mit Leidenschaft verschrieben fühlen. Und dann gleich für eine »Kritik der politischen Ökonomie« plädieren („Um die politische Ökonomie geht es, Dummkopf!“) sowie die Psychoanalyse als „die Grundlage für eine neue politische Praxis“ wiederentdecken. Daher greift Zizek auch auf Marx, Freud, die Frankfurter Schule (Adorno/Horkheimer) und natürlich Jacques Lacan zurück. Jedoch geht es nicht um ein Revival des freudomarxistischen 68er-Theorie-Eintopfes, sondern um ein radikales Neulesen, Neuvermessen besagter Theorien. Also nicht Marx und Freud lesen, sondern radikaler: Marx durch/wie Freud lesen und umgekehrt. Kurz: Diskurs/Dialektik machen. Werden die Bögen der Gedankengänge mitunter auch bis zum Äußersten überspannt, so sind es genau jene Momente, in denen sich eine neues, radikales Denken manifestiert. Trotz des philosophischen Grundtenors stellt »Die Tücke des Subjekts« in erster Linie „eine engagierte politische Intervention“ dar. Geht es doch um nichts weniger als um die Frage, „wie man in unserem Zeitalter des globalen Kapitalismus und seines ideologischen Supplements, des liberal-demokratischen Multikulturalismus, ein linkes, antikapitalistisches Projekt neu formulieren kann.“ Das so was nicht einfach ist (auch zu lesen), liegt auf der Hand. Die Notwendigkeit, sich durch diesen Hirnschmalzbewegungs-Wälzer durchzuarbeiten aber auch.

Didi Neidhart

Noam Chomsky:

War Against People

Menschenrechte und

Schurkenstaaten.

Hamburg/Wien 2001,

Europa Verlag

Noam Chomsky:

9-11

New York 2001,

Seven Stories Press

Der 73-jährige US-Amerikaner Noam Chomsky ist der bekannteste und bedeutendste zeitgenössische Sprachwissenschafter. Unzählige Publikationen zeugen aber vom »Hobby« des fleißigen Vielschreibers: die scharfzüngige Analyse und Kritik der »alten und neuen Weltordnungen«, des neoliberalen Wirtschaftssystems und der allgegenwärtigen Medienmanipulationen. »War Against People« versammelt zahlreiche Beispiele für die innen- und außenpolitischen Menschenrechtsverletzungen der USA. Mit den Anschlägen vom 11. 9. erhält der am Buchrücken abgedruckte Text neue Aktualität: „Schurkenstaaten sind die USA und ihre Verbündeten, und die Menschenrechte sind ihr Vorwand, Gegenspieler und Opfer, lautet die Grundthese dieses brandaktuellen Buchs“. Chomskys Analysen mögen vor den Terrorattacken entstanden sein, ihre Richtigkeit und Relevanz wird aber gerade durch den Krieg gegen Afghanistan jeden Tag aufs Neue bestätigt. Dabei lesen sich die Texte des dezidiert undogmatischen Gesellschaftskritikers locker und leicht. Chomsky verzichtet auf philosophischen Überbau und Theorie. Stattdessen präsentiert er eine Fülle von Fakten und leicht verständlichen Definitionen. Damit lassen sich trefflich Sachverhalte belegen, die die Freunde des Status Quo gern als linke Mythen und Spinnereien abqualifizieren.

Noch brandaktueller (zumindest was das Veröffentlichungsdatum betrifft) ist die bislang nur im US-Original erhältliche Interviewsammlung »9-11«. Darin sind 14 Gespräche mit dem linken Pragmatiker, die den Krieg gegen den Terror, Usama bin Laden, die langfristigen Auswirkungen der US-Außenpolitik abhandeln sowie die offizielle amerikanische Definition einer terroristischen Organisation (plus einer Auflistung dieser Gruppen) enthalten: Punkt eins dieser Checkliste: „Die Organisation muss ausländisch sein“. Diese historische Ignoranz und die Fülle an verschwiegenen, unterdrückten und für die Herrschenden unangenehmen Fakten darzulegen, das ist das Verdienst des renommierten Wissenschafters.

Doc Holliday

Kinky Friedman:

Der Leibkoch von Al Capone

München 2001, Heyne Verlag

Der Mann trägt im richtigen Leben als auch in seinen Büchern tagaus, tagein einen breitkrempigen schwarzen Stetson und Cowboystiefel aus Brontosauriervorhaut. Wahrscheinlich schläft er auch in dieser Montur. (Wem der irische Jameson-Whiskey derart mundet, hat meist keine andere Wahl). Das sollte uns LeserInnen blunznwurscht sein, solange Richard F. Friedman weiterhin das tut, was er in den letzten gut 15 Jahren schon so brillant exerziert hat: nämlich Krimis zu verfassen, bei denen die Handlung gegenüber den Anekdoten und Wortspielen in den Hintergrund tritt. Friedman, in Chicago geboren, übersiedelte bereits in jungen Jahren nach Texas. Schon damals gefällt er sich in der Kunst der Provokation. Schließlich herrschen auf Gottes größtem Schießplatz raue Sitten und wenig Toleranz: Eine jüdische Abstammung und der eindeutig mehrdeutige Spitzname Kinky (auf gut deutsch alles zwischen »unorthodox« und »pervers«, »pervertiert«) lässt den gemeinen Texaner mitunter schon zum Scharfrichter mutieren. Strafverschärfend wandte sich der Kinkster in den 70ern auch noch der T-Bone-Kultur par excellence zu: Er gründete eine Country&Western-Band, die Texas Jewboys, deren Hauptaufgabe in der stilsicheren Beleidigung der Rednecks, Rassisten und bigotten Moralaposteln bestand. Aber auch die Jewish Defense League konnte sich mit seinem Geheimhit »They Ain’t Makin’ Jews Like Jesus Any More« nicht richtig anfreunden. Den bösartigen, politisch unkorrekten Humor (im Stile von Lenny Bruce) bewahrte sich das Schandmaul auch in seinen meist in New York angesiedelten Krimis. Im »Leibkoch...« wird über die Machenschaften des FBI (und dessen früheren Zuchtmeister J. Edgar Hoover) räsonniert. Also steht der Hank Williams- und Anne Frank-Verehrer gerade mit seiner Ironie, dem Sarkasmus und bösartigen Zynismus politisch doch auf der richtigen Seite. Ob das alle Tugendwächter schnallen, ist so unwichtig wie ein Pferdeapfel im Bushland.

Doc Holliday