dezember 2001

Doc Holliday
kommentar

Die Revolution beginnt in der eigenen Partei

Ziemlich unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit leitete die KPÖ mit der Publikation von »Stalin und wir« im heurigen Juni eine neue Phase in ihrer Geschichte ein. Spät aber doch werden die Verbrechen der Stalinzeit darin eingestanden. Selbst der frühere Parteivorsitzende Franz Muhri (der knapp nach dem Erscheinen des Buches verstarb) sparte in seinem Beitrag nicht mit Selbstkritik. „Aber die Stalin’schen Repressionen gegen Unschuldige standen und stehen in diametralem, prinzipiellem, unvereinbarem Widerspruch zum humanistischen Charakter der kommunistischen Ideen und Ziele. Sie haben der gerechten Sache des Sozialismus schweren Schaden zugefügt und seinen Feinden genützt“. Für solch klare Worte hätte sich der Autor Franz Muhri vor gut einer Dekade noch selbst aus der Partei ausschließen müssen.

Eine Vergangenheitsbewältigung, die nichts schön-redet oder entschuldigt: Genau dies lassen die anderen Parteien vermissen. Die braunen Spuren im sozialdemokratischen BSA oder die Wertschätzung, die der ehemalige Bürgerkriegskanzler Dollfuß nach wie vor in der ÖVP genießt, sind nur zwei Beispiele für das ewige Verdrängen und Verschleiern in unserer Heimat.

Noch hat aber auch die KPÖ ihre Hausaufgaben nicht vollständig erledigt. Um alle Glaubwürdigkeitsprobleme restlos zu beseitigen, müsste etwa die Rolle der Kaderabteilung der Partei nach 1945 – und damit verbundene antisemitische Tendenzen – thematisiert und alle ungustiösen Details aufgedeckt werden.

Parteichef Baier verspricht, dass die noch ausständige Studie über die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der KPÖ demnächst erstellt wird. Je früher dies tatsächlich geschieht, desto besser. Diese Arbeit sollte unbedingt von dezidiert parteiunabhängigen Wissenschaftern (mit)verfasst werden. In Österreich forschen genügend renommierte Historiker (z. B. Hans Schafranek) auf diesem Gebiet. Der Meilenstein in Sachen Geschichtsbewältigung, den »Stalin und wir« zweifelsfrei darstellt, würde dadurch noch übertroffen werden.