dezember 2001

Mario Steidl
titel

„...Produktionsbedingungen schaffen.“

Der Leiter des Jazzfestivals Saalfelden Gerhard Eder über Jazz, Geld und Johannes Kunz

Wie beurteilst du die Ausbildungsmöglichkeiten für Jazzmusiker in Salzburg?

Was wir heute brauchen sind genreüberschreitende Ausbildungsformen, denn in der Kunst ist generell eine Genreauflösung festzustellen. Das Entwicklungsspektrum ist heute ganz ein anderes als nur irgendwo ein nettes Konzert zu spielen. Hier gibt es weder die Ausbildungsoption, wobei das schon im unteren Bereich der Musikschule beginnt wenn ich frage, welche Formen der Musik vermittle ich da. Man ist über Jahre nur auf der klassischen Ausbildungsschiene gelaufen und hat gesagt wenn, unsere Kinder mal ganz gut sind, sollen sie das Mozarteum besuchen und dort irgendein klassisches Instrument weiterlernen. Auch wenn du die Idee hättest und sagst gut, ich möchte jetzt Rockmusik oder etwas mit Jazz machen, so hast du grundsätzlich keine Ausbildungsoptionen. Wesentlich ist, dass sich dann aus diesem Beherrschen des Instruments heraus das Gruppenspiel entwickeln sollte, das heißt, du hast auch keine Optionen in einer Gruppe das zu tun, was du für dich als wichtig empfindest. Es gibt auch am Mozarteum keine Schiene, die hier in diesem Bereich stärker verankert ist, was zur Folge hat, dass sich klarerweise Zentren wie Linz, Wien oder Graz herausbilden, weil ich dort sowohl auf eine Ausbildung als auch auf Institutionen zurückgreifen kann, in denen eine ganz andere Konzerttätigkeit vorhanden ist.

Siehst du ein Manko darin, dass es zu wenig Lokale bzw. Plattformen gibt, wo Musiker sich präsentieren können?

Ich zweifle an der Sinnhaftigkeit eines ausgesprochenen Jazzlokales. Es muss Platz für Musikpräsentationen unterschiedlicher Genres geben, aber ich glaube die Musikszene hat sich in eine ganz andere Richtung entwickelt. Es gibt plötzlich die Intention – und die elektronische Musik hat das ja vorgemacht – dass ich mit eigenen Strukturen, die ich über das Internet aufbaue, über eigene Kommunikationsschienen, eigenen Plattenfirmen - gegenüber den Majors, die vorher überhaupt kein Interesse an dieser Musik hatten, eine eigenständige Musikszene aufzubauen. Wir haben genügend Orte, wo etwas passieren kann. Wir hätten das Rockhaus, wir haben die Arge Nonntal, wir haben teilweise experimentelle Orte wie das Toihaus, wo ja auch Musikexperimente passieren, wir hätten das Mozarteum, wir hätten die Museen , ich kann mir auch durchaus vorstellen dass man mit gewissen Dingen ins Rupertinum gehen könnte. Die Platzfrage ist also nur eine Seite.

Das Problem ist die Frage der Provinzialität. Im Grunde genommen sind wir ja ein sehr kleines Bundesland mit einer relativ kleinen Provinzstadt wie Salzburg Ich glaube, dass es nicht wirklich so etwas wie ein experimentelles Umfeld gibt, das motiviert. Wir haben zwar unterschiedliche Intentionen, wir haben zwar viele Veranstalter aber teilweise ist das, was gemacht wird, doch relativ provinziell. Es ist aber wichtig, dass es diese Einflüsse von außen gibt, dass wir also nicht dieses enge Bild von „eine Salzburger Szene schaffen“ haben sollten, sondern zumindest Österreichweit oder europaweit denken sollten. Nur dadurch kann sich im Grunde genommen eine wirklich eigenständige Salzburger Szene aufbauen. Ich glaube also nicht, dass das jetzt unbedingt eine Frage der Salzburger Lokale, sondern eine Frage von Produktionsbedingungen ist. Einen Aufenthaltsort für etwas zu finden, das ich selbst als gut empfinde, ist das kleinste Problem. Die Möglichkeit, sich musikalisch entwickeln zu können setzt aber voraus, dass ich einen Diskurs in der Auseinandersetzung mit dem, das ich mache, führen kann. Dieser wird aber nicht durch mehr Lokale erreicht, sondern diesen Diskurs brauchst du dort, wo die Leute sich ausbilden, wieder auf andere Kunstrichtungen stoßen, wo die Leute die Möglichkeit haben, mit anderen Künstlern zu reden und einen Erfahrungsaustausch zu haben. Das setzt aber voraus, Produktionsbedingungen zu haben, d.h., wir können heute in ein Studio gehen, wir können Experimente machen, weil wir auch die Ausstattung dafür haben. Das wäre eher zu fördern als irgendein Raum, wo man hingeht und sagt: Okay, wer bucht mich heute. Auch dieser Ansatz, wenn wir morgen zehn Clubs mehr aufsperren, was haben wir dann wer spielt dann dort?

Wird die Hochkultur bei den Subventionen zu sehr gefördert bzw. die zeitgenössische Musik und damit der Jazz vernachlässigt?

Die Festspiele sind heute sicher die experimentelle Bühne. Mit den besten Regisseuren, den besten Stücken, den innovativsten Bühnenbildern, der Blick auf die Avantgarde hat sich sicher verändert. Auch die Avantgarde in der bildenden Kunst kooperiert heute mit Versace, Gucci, Boss und hat überhaupt kein Interesse mehr an einer Alternativkultur, was immer diese auch sein mag. Die Frage ist, wie bewerten wir heute unsere Positionen, wo stehen wir, welche Reaktionen haben wir. Man muss vorsichtig sein mit dieser Trennung, ich würde das nicht als Hochkultur und Avantgarde bezeichnen. Klarerweise ist das klassische Kulturgut – obwohl das nicht immer mit Hochkultur zu tun haben muss – mit stärkeren Förderungen bedacht als zeitgenössisches künstlerisches Schaffen. Hier geht es um die Frage einer Positionierung eines Landes, einer Stadt. Das Experimentelle wird in dieser Stadt verhindert, es ist typisch für mich, dass alles was anders war, rund um die Stadt herum gebaut worden ist. Ob das jetzt das Literaturhaus oder das Rockhaus usw. ist, das ist nicht im Zentrum sondern in den Außenbezirken der Stadt. Hier sagt man, wir haben sowieso zwei Monate die Festspiele und diese sind das Wichtigste. Diese haben alle Optionen alles zu tun, ob das jetzt im zeitgenössischen Musikbereich ist, im zeitgenössischen Theater, ob jetzt Salzburg plötzlich zum Zentrum aller Galerien Österreichs wird, hier schafft man für zwei Monate sozusagen ein Aushängeschild der Kunst. Die restliche Zeit geht man wieder auf die Otto-Normalverbraucher-Schiene zurück. Man braucht da nicht weiß Gott was zu investieren, Hauptsache die haben was, das funktioniert und das spielen wir auch mit. Denn unsere Forderungen nach mehr sind ja relativ bescheiden. So lange wir mit den Strukturen die wir haben arbeiten können, sind wir in irgendeiner Form zufrieden. Aber Visionen für ein anderes Arbeiten, die sich aber nicht nur auf „krieg ich jetzt mehr Geld um noch fünf Bands zu veranstalten“ konzentrieren, sondern auf ein „kriegen wir mehr Geld für die Musik um die Auseinandersetzung, den Dialog, den Diskurs zu fördern“, die sehe ich nicht wirklich.

Wie siehst du die Verteilung der Subventionen als Vorsitzender des Kulturbeirats?

Ich will jetzt gar nicht über spezifische Budgetverteilungsgeschichten reden. Generell ist einfach festzuhalten, dass das Geld für zeitgenössische Musik wesentlich zu gering ist. Der Anteil an Förderungen für die zeitgenössische Musik liegt derzeit bei 4,5% des Budgets für Musik. Das ist für eine Stadt wie Salzburg nicht tragbar, es müssten mindestens 10% sein. Gleichzeitig muss man sich aber überlegen, was tut man mit dem Geld. Es kann nicht nur sein dass man sagt, da könnten wir ein paar Konzerte mehr machen, das wäre mir zu wenig. Es gehören klare Konzepte her, wie man mit einer Förderung für zeitgenössische Musik umgeht. Man nimmt den Jazz als Teil der zeitgenössischen Musik, und da kann es durchaus mehr Veranstaltungen, Festivals oder andere Dinge geben, die aber eine bestimmte konzeptionelle Linie nachweisen sollten, wo es eben nicht nur um das Veranstalten geht.

Kannst du das am Beispiel des Jazzfestivals Saalfelden kurz illustrieren?

Es geht hier um viel mehr, auch um das Hintergründige, nämlich mit dem Festival Saalfelden Musikern eine optimale Chance auf eine berufliche Weiterentwicklung zu gewährleisten. Wir haben heuer an die 150 Journalisten und ebenso viele Veranstalter da gehabt, die sich das Programm anschauen und vielleicht sagen: Die Gruppe x hat mir gefallen, die mache ich auch bei mir. Man macht das nicht nur, um tausenden von Leuten ein Vergnügen zu bereiten, das ist schon auch wichtig, aber unsere Intention ist neben dem Spaß auch die inhaltliche Konfrontation. Wir haben hier so gut zu arbeiten, dass der Musiker die bestmögliche Basis vorfindet. Hier ist nicht nur das Zahlen einer Gage oder das Ermöglichen eines Experiments oder eines Kompositionsauftrags wichtig, sondern dass der Musiker eine gute Presse bekommt, wenn er ein überzeugendes Projekt hat und damit wieder verkaufbar ist. Wobei wir schon beim nächsten innerösterreichischen Problem sind, dass es nämlich kaum mehr Musiker gibt, die über eine Agentur verfügen. Viele Musiker müssen Vermittlertätigkeit auf sich selbst nehmen, weil man am Markt glaubt, kein Geld damit zu machen. Im Bereich der Tonträgerproduktionen verfügen wir kaum über innerösterreichische Labels. Der Künstler muss eine Eigenproduktion machen. Warum gibt es aber keine Konzepte des gemeinsamen Vermarktens und Produzierens? Natürlich kann jeder selbst produzieren, aber dann sollen wenigstens die CD-Hüllen gleich aussehen, man sollte Werbematerial haben. Warum kann so etwas nicht über Klubs und Kulturinitiativen passieren? Hier immer nur den einen Teil des Auftretens zu sehen bringt auf längere Sicht nichts. Wir müssen Strategien entwickeln, die etwas bringen. Z.B. eine Serie von CDs zu produzieren die man gemeinsam vermarktet und verkauft, wo sich jeder verpflichtet, gewisse Mengen zu übernehmen und Promotion dafür zu machen. Dieses fixiert sein auf das Veranstalten ist so was von eingeschränkt und hat mit der Realität eigentlich nichts zu tun. Wir müssen es schaffen, den Qualitätsstandard zu heben und zu schauen, wie entwickeln wir das überhaupt, internationale Musiker, denn wer möchte schon ein lokaler Musiker sein. Kein Mensch. Wie verkaufe ich einen Künstler, was mache ich mit den Produktionsbedingungen auf dem Land. Wäre es hier nicht sinnvoll, einen Technikpool zu haben, wo Musiker darauf zurückgreifen können und somit keinen technischen Aufwand, keinen Stress damit haben.

Woran scheitert diese Idee, eine solche Vereinigung zur Förderung von Künstlern zu schaffen?

Es scheitert an der Kommunikation, an der Individualität. Ich habe mehrfach angeregt, z.B. Österreichweit 15 Lokale zusammenzuschließen, wo dann Musiker auf Tournee geschickt und von einem Lokal zum anderen gereicht werden. Der eine will dann die Veranstaltung nicht am Mittwoch machen, wenn der andere am Samstag darf und solche Kleinigkeiten. Und es scheitert an der Logistik. Es hat früher in Österreich Versuche gegeben, dieses Defizit im Agenturwesen mit einem Verein, der Förderungen bekommt, auszugleichen. Das hat sich nicht bewährt. In Frankreich greift dieses Modell. Dort bekommt eine Agentur pro vermittelten französischen Musiker eine bestimmte Förderung. Es ist eben die Frage, welche Modelle sind möglich, welche kann man entwickeln. Man müsste mit den Musikern reden um festzustellen, was für sie das sinnvollste in einer Förderung wäre. Sind das fehlende Agenturen, fehlende Lokale, ist es die fehlende Infrastruktur und dann müsste man doch in der Lage sein zu sagen, hier schaffen wir Strukturen und Voraussetzungen, angefangen von der Ausbildung bis hin zur Vermarktung.

Wie beurteilst du die Veranstaltung „Jazzherbst“ und die damit verbundene Subventionspolitik?

Ich nenne das im Kulturbeirat immer die „Psychologische Barriere“. Es ist bezeichnend, dass plötzlich so was wie der Jazzherbst eine eigene Haushaltsstelle bekommt und dort dann namentlich aufscheint. Während andere Initiativen, egal ob Rockhaus, Arge oder das Jazzfestival Saalfelden unter sonstige kulturelle Veranstaltungen oder Maßnahmen der Kulturpflege laufen. D.h., hier stelle ich schon fest, dass etwas, das seit Jahren existiert, in einem Haushalt nicht namentlich genannt, sondern immer in Untergruppen definiert wird. Es wäre eigentlich eine Ehrerbietung oder so etwas wie eine Akzeptanz, wenn man auch die wesentlichen institutionellen Einrichtungen in einem Haushalt namentlich aufführt. Unabhängig davon, ob sie mehr oder weniger Geld bekommen.

Das zweite ist dieses Grundbild Salzburg und Kultur. D.h., dass man ein bisschen Avantgarde zulässt, am besten wäre wenn es nur bei den Festspielen passieren würde, denn dann wäre es international vermarktbar, aber dass es eigentlich nicht passieren darf. Der Rest ist dann einfach Jahresprogramm der Salzburger. Das darf dann keinen Anspruch auf Internationalität haben, keinen Anspruch auf Wichtigkeit haben. Das ist einfach Futter für die Bevölkerung. Wenn man sich diese Programm des Jazzherbst anschaut, dann muss es möglichst traditionell, festspielkompatibel und marketingtechnisch verwertbar sein. Da können wir dann der Wiener Städtischen 1000 Tickets verkaufen, weil das ja ganz nett ist, wenn die Sponsoren im Festspielhaus sitzen und vorne sitzt der LH. Und klarerweise braucht man dann ein traditionelles Programm. Es dürfte aber dafür eigentlich keine Förderung aus dem Kulturbudget geben. Ob jetzt die Tourismusfraktion der Stadt sagt, das ist uns wichtig, dagegen wäre nichts einzuwenden. Wir kommen hier aber schon auf die nächste Ebene. In dem Moment, wo jemand auftaucht wie Kunz, der im Grunde genommen Ex-ORF-Intendant ist, hat man das gleiche Problem das viele Gemeinden heute haben im Sinne von Event-Marketing. Der taucht auf, sagt ich mache euch das und dafür müsst ihr so und soviel zahlen, das ist das was ich will. Und wenn ihr das nichts zahlt, bin ich wieder weg. Ich würde das durchaus als legitim empfinden, aber da muss das vis-a-vis entscheiden, ob es das wert ist oder nicht. Und in Salzburg hat man gesagt, das ist es uns wert. Ob es jetzt zu einer besseren Profilierung der Stadt führt, sei einmal dahingestellt. Nur international ist es bedeutungslos. Auf der ganzen Welt gibt es dafür keine Unterstützung, so was ist wie ein Eigenrenner, der sich von selbst verkaufen müsste. Nur muss man das aus dem Diskurs heraushalten, denn ich glaube unsere Ansprüche sind andere. Denn je mehr wir uns der Avantgarde hin öffnen, umso labiler wird unsere Geschäftssituation. Und das gilt es zu fördern und zu unterstützen. Das Problem ist auch noch, ob bei einem Vertragsabschluss das vis-a-vis soviel Know-how hat, dass es glaubt, das gekaufte zu günstigen Konditionen erworben zu haben. Das müsste jemand bewerten um zu sagen: Kaufen wir günstig oder ungünstig ein. Jemand anderer könnte sagen, das ist überbezahlt. Und man könnte dann sagen: Wissen sie was Herr Kunz, sie können das weiter machen was sie tun, nur wollen wir dafür nicht mehr die Summe x sondern die Summe y ausgeben. Das ist durchaus legitim. Es wäre angebracht, das zu hinterfragen. Man kann jetzt aber nicht sagen, der kriegt soviel Geld und wir sind so super und kriegen keins. Das sind dann diese Plattitüden, wo die Selbstkritik fehlt.