november 2001

Doc Holliday
gelesen

Jon Savage: England`s Dreaming

Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock. (Berlin 2001, Edition Tiamat)

Der englische Musikjournalist Jon Savage (Sounds, The Face, Mojo...) veröffentlichte diese definitive Sozialgeschichte des Punk aus der Sicht der Beteiligten bereits 1991. Heuer erschien eine überarbeitete Neuauflage und erstmals endlich auch eine deutsche Übersetzung. Im gut 500 Seiten starken Wälzer schildert Savage faktenreich und brillant recherchiert die Geschichte eines Genres, das schon immer weit mehr als bloß primitiver Krach sein wollte – nämlich Aufruhr und Anarchie. Von 1971, als der Kunststudent und spätere Sex Pistols-Manager Malcolm Mc Laren zusammen mit der heute gefeierten Modedesignerin Vivienne Westwood einen Laden im Londoner Stadtteil Chelsea eröffnete, bis zum Beginn der Regentschaft der »eisernen Lady« Maggie Thatcher im Jahr 1979 spannt der Autor, der damals als teilnehmender Beobachter die meisten Aktionen und Provokationen hautnah miterlebte, seine Nacherzählung vom Aufstieg und Fall des Punk.

Das Spiel mit den Zeichen, gleichermaßen Ekel wie Lust an den Manipulationen der Medien, nihilistische Verweigerung, S&M-Fetischismus – all das forderte nicht nur die Musikindustrie, sondern die Gesellschaft als Ganzes heraus. Eine ausgeklügelte Strategie, die vom öffentlichen Skandal in den unvermeidbaren »Ausverkauf« im neoliberalen, reaktionären Thatcherismus führte.

„Die Freiheit, die Punk nicht nur besungen, sondern in jeder möglichen Weise inszeniert hatte, war von der neuen Rechten gekapert worden und bedeutete etwas ganz anderes: Ungleichheit, die institutionalisiert und als leitendes kulturelles und soziales Prinzip etabliert wurde.“ Die Kids von heute aber erdulden Blairs New Labour-Schwindel und kennen unter dem Etikett »Punk« bestenfalls die Epigonen vom Schlag der »Green Day« oder »Offspring«. Darauf hinzuweisen, dass aber die „Vitalität des Punk...als allgemeines Symbol für jugendliche Unzufriedenheit, Rebellion und Störung der öffentlichen Ordnung“ anhält, etwa bei den Anti-Globalisierungsprotesten, ist nur ein Vorzug von Savages Standardwerk. Die kenntnisreich kommentierte Diskographie ein weiterer.