november 2001

Didi Neidhart
gelesen

Islamic Diggers

Nach den feigen Attentaten: Bezeichnender Applaus von Rechts

Um dem eigentlichen Kern einer Sache näher zu kommen, müssen manchmal die Ränder bzw. Bruchstellen aufgesucht werden. Im Falle des jetzt heftig diskutierten Islams empfiehlt sich daher Peter Lamborn Wilsons (aka Hakim Bey) »skandal. Essays zur islamischen Häresie« mit Nachdruck.

Geht es dabei doch nicht um die tolerant-liberale Mystik und Lehre der Sufis, sondern auch um „Wein-Gesänge“ sowie die „Haschischfresser“-Sekte der Assassinen, die sich in Kombination mit Sufi-Tänzen schon im Diesseits Blicke ins himmlische Paradies herbeiilluminiert haben sollen.

Als echte islamische Ketzer vergingen sie sich dann auch noch an einer der fünf Säulen des Islams und brachen kurzerhand das Fastengebot während des Ramadan (zu Mittag!). So was macht Usamah Bin Ladin ja nicht.

Dumm wäre er, sich dem Ketzervorwurf auszusetzen. Stattdessen präsentiert er sich als Erneuerer des Glaubens und will er den »Jihad« als sechsten Pfeiler des Islams einführen. Womit wir wieder bei den Assassinen wären. Ironischerweise gibt es das ausführlichste und am wenigsten spekulativ-kryptisch angelegte Werk darüber, Bernard Lewis' Standardwerk »The Assassins« (»Die Assassinen. Zur Tradition des religiösen Mords im Islam«), selbst im weltweit amazonisch vernetzten Buchhandel nur »on back order«. Jedenfalls erhellt dieser Band über die „ersten Schläfer-Agenten der Geschichte“ (Robert Anton Wilson) um den legendären, bei uns vor allem durch William Burroughs (als literarisch-selbstersponnene Figur) bekannt gemachten, Hassan I Sabbah (»Der Alte Mann vom Berg«) so einiges. Ende des 11./Anfang des 12. Jahrhunderts gegründet, verschanzte sich diese ismaelitische Sekte in der uneinnehmbaren Bergfestung Alamut (»Adlernest«) im Nordwesten des heutigen Irans und wurde in Folge nicht nur von den Kreuzrittern aufs Äußerste gefürchtet (allein in den Lagern von Richard Löwenherz wurden mehr als 40 Schläfer enttarnt). Sabbah schickte diese erste »Terroristen-Gruppe der Weltgeschichte« auch an die Höfe von Kalifen und Sultanen, immer bereit, bei ersten Anzeichen einer Kriegshandlung gegen Sabbah sofort zuzuschlagen. Was politische Selbstmordattentate ebenso einschloss wie den Glauben, dadurch sofort in den Paradiesgarten und in die absolute Nähe Allahs zu gelangen. Klingt vertraut, oder?

Ebenfalls derzeit nur »on back order« ist leider Amin Maaloufs Pflichtlektüre »The Crusade Through Arab Eyes« (»Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber«). Nicht nur wegen all der Deppen, die George Bushs „crusade“-Ausspruch verharmlosend umdeuten wollen. Auch wegen jetzt so gern hirnlos verwendeter Begriffe wie »Zivilisation« und »Barabarentum« ist diese Sicht der ersten drei Kreuzzüge (bei denen die Crusader neben Moslems ja auch unter dem Islam lebende Christen abmetzelten) aus zeitgenössischen arabischen Quellen unverzichtbar. Denn „Fassungslosigkeit und Entsetzen einer hochzivilisierten Gesellschaft angesichts der »barbarischen Invasion« aus dem Abendland“ (Klappentext) sind nach wie vor Wurzeln des Misstrauen der islamischen Welt gegenüber dem Westen und seiner Überheblichkeit.

Wer's ganz genau wissen will, sollte hingegen gleich im Koran lesen. Den kann man sich u.a. bei www.islam.de in ein paar Minuten komplett herunterladen (Lexikon dazu gibt es auch). Da liest man dann auch so schöne Stellen wie „Es gibt keinen Zwang in der Religion“ (Sure 2, 256).