november 2001

Doc Holliday
im gespräch

Mythen über Tüten

Interview mit dem »Emsigen« Jugendstadtrat Bernhard Amann

Du bist Sprecher der »BürgerInnenInitiative für die Gleichstellung von Cannabis mit den legalen Drogen Alkohol und Nikotin«. Lässt sich eine derartige Gleichstellung überhaupt rechtfertigen?

In Frankreich wurde unlängst eine großangelegte Gesundheitsstudie veröffentlicht. Dabei klassifizierten die Wissenschafter die Substanzen in drei Kategorien: Die gefährlichsten sind Opiate, Kokain und Alkohol. In der zweiten Ebene finden sich die Partydrogen wie Ecstasy, die Amphetamine, Medikamente und der Tabak. Die geringste Gefährlichkeit wird Cannabis attestiert. Bei Alkohol ist bereits die fünffache Rauschdosis tödlich, während bei Cannabis die 450 bis 1800fache Rauschdosis nötig wäre. Kein Wunder also, dass es keinen einzigen dokumentierten Fall einer tödlichen Cannabisüberdosis gibt. Das sind die markanten Unterschiede zwischen Alkohol, Nikotin und Cannabis. Unserer Initiative geht es darum, das in Österreich seit 1961 bestehende Cannabis-Verbot aufzuheben, weil es nicht mehr zeitgemäß ist. Etwa ein Drittel der 18 bis 35-Jährigen konsumiert gelegentlich Hanf.

Welche weiteren Gründe gibt es für eine Legalisierung?

Das Cannabisverbot hat das Ziel – nämlich eine Reduktion des Konsums – in keiner Weise erreicht. Die Repression mit all ihren negativen Auswirkungen kostet jährlich mehrere Milliarden Schillinge und vorwiegend junge Menschen werden durch die Kriminalisierung in das gesellschaftliche Abseits getrieben. Die Folge ist Staatsverdrossenheit. Cannabis führt zu keiner körperlichen Abhängigkeit. Das Verbot verhindert den richtigen Umgang mit der Substanz, die genau wie die harten Drogen auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Nicht zu vergessen: Cannabis ist eine preiswerte Medizin mit vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten: Chemotherapie, Schmerzbekämpfung, Grüner Star, Multiple Sklerose etc.

Glaubst Du, dass der Konsum von Cannabis nach einer Legalisierung steigen würde?

In den Niederlanden hat es nach der Entkriminalisierung einen leichten Anstieg gegeben. Jedoch ist die Anzahl der KonsumentInnen seit Mitte der 80er Jahre rückläufig. Im EU-Drogenbericht 2000 rangiert Holland im unteren Drittel. Europäischer Spitzenreiter ist Dänemark. Während 13 Prozent der Jugendlichen in Holland im letzten Monat Cannabis zu sich genommen hatten, betrug die Zahl in England 24 und in den USA 21 Prozent. In Österreich gehen wir aktuell von etwa 800.000 KonsumentInnen aus.

Wie korrelieren die Kriminalstatistiken mit der geschätzten Zahl der KonsumentInnen?

Laut den Kriminalstatistiken nimmt der Anteil der Minderjährigen unter den Anzeigen wegen Cannabisbesitz seit Jahren kontinuierlich zu, schneller als die Gesamtzahl der KonsumentInnen. In Deutschland laut Bundeskriminalamt von 13,3 (1995) auf 19,7 Prozent (1999). Dem österreichischen Drogenbericht 1999 zufolge hat sich die Anzahl der Anzeigen wegen Cannabis in den letzten zehn Jahren etwa vervierfacht.

Ein immer wiederkehrendes Argument der Prohibitionisten ist die Behauptung, dass es sich bei Cannabis um eine Einstiegsdroge handelt. Ist da irgendetwas dran?

Dies ist ein Bild negativer Sensationen und wird aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigt. Etwa zwei bis fünf Prozent der Cannabisfreunde landen später bei harten Drogen. Der Umstieg zu den sogenannten harten Drogen und zur Sucht hat völlig andere Ursachen, die im psychischen Bereich liegen. 1994 befand das deutsche Verfassungsgericht, dass die Einstiegstheorie nicht haltbar ist. Außerdem kam eine 1998 im Auftrag des damaligen Gesundheitsministers Seehofer (CSU) von Dr. Dieter Kleiber durchgeführte Studie zu folgendem Schluss: „Die Annahme, Cannabis sei die typische Einstiegsdroge für den Gebrauch harter Drogen wie Heroin, ist also nach dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht haltbar“.

Es wäre ein Leichtes, weitere Untersuchungen zu zitieren.

Wie angemessen ist die derzeitige Praxis der Verfolgungsbehörden?

Wir bekommen in Vorarlberg vermehrt Beschwerden über den Umgang der Exekutiv-, Zoll- und Bezirksbehörden mit betroffenen Personen. Gerade junge Menschen sind der Willkür hilflos ausgeliefert. An öffentlichen Örtlichkeiten, Schulen, in Regionalzügen, Lokalen und bei Veranstaltungen werden Personen intensiv gefilzt.

Seit dem Schengenvertrag ist die mobile Überwachungsgruppe des Zolls im ganzen Bundesland im Einsatz.

Raveveranstalter werfen frustriert das Handtuch, da Hundertschaften von »Filzstiften« (gsibergerisch für »Kieberer«) vor Ort die Besucher auf penetrante Art perlustrieren. Daher hat sich die Szene in die Schweiz verlagert. „Gelegentlicher Konsum von Cannabis beeinträchtigt ebenso wie gelegentlicher Konsum von Alkohol die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Fahrzeugen nicht (sofern der Konsum nicht im Zusammenhang mit dem Lenken von Fahrzeugen erfolgt)“, so der Verwaltungsgerichtshof in Wien.

Trotz dieser Tatsache erlassen die Bezirkshauptmannschaften eindeutig rechtswidrige »Aufforderungsbescheide« zu einem Führerscheinentzugsverfahren.

Oder Vorarlberger Dienststellen verlangen von harmlosen Cannabiskonsumenten Fotos für die Verbrecherkartei. Die Beschwerdeliste könnte beliebig verlängert werden.

Wie ist in diesem Zusammenhang der Urintest zu bewerten?

Da Cannabis bzw. der Wirkstoff THC bis zu sechs Wochen im Urin erkennbar ist, hat er bezüglich einer akuten »Berauschung« keinerlei Aussagekraft.

Gibt es genug Information (im Unterschied zu Propaganda) über Cannabis?

Informationsstellen, die sich explizit mit dem Thema auseinandersetzen, sind rar. Die österreichischen Beratungsstellen beschäftigen sich mit süchtigen Menschen, Kiffer gehören also nicht zu ihrem Klientel. Was jedoch enorm gestiegen ist, sind Rechtsberatungen. Der Verein für eine Legalisierung von Cannabis und unsere BürgerInnenInitiative für die Gleichstellung von Cannabis mit den legalen Drogen Alkohol und Nikotin bieten eine umfassende Rechtsberatung an.

Wie sieht die aktuelle Drogenpolitik in anderen Staaten aus?

Während in Österreich die Repressionsschiene gefahren wird, reagieren andere Staaten liberal. In der Schweiz (700.000 Kiffer) wird in Kürze eine Volksabstimmung stattfinden und es wird ein klares Ja zur Entkriminalisierung erwartet. In der BRD besteht ein Nord-Süd-Gefälle. Während in Norddeutschland von einer Verfolgung in der Regel abgesehen wird, ist in Bayern oder Baden-Württemberg Repression angesagt. In Holland, seit dem Frühjahr auch in Belgien und in Portugal ist Cannabis entkriminalisiert. In Spanien wird nicht mehr verfolgt, in Frankreich ist eine Liberalisierung beabsichtigt, während Kanada und einige Staaten der USA den Konsum für medizinische Zwecke beschlossen haben. Die generelle politische Entwicklung geht eindeutig in Richtung Liberalisierung.

Bernhard Amann ist unter anderem Diplomsozialarbeiter, Konzertveranstalter, IG-Kultur-Vorstandsmitglied, Gründer mehrerer Selbsthilfevereine für Benutzer illegaler Substanzen, Jugendstadtrat in Hohenems für die unabhängige Liste »Die Emsigen« und Sprecher der BürgerInnenInitiative für die Gleichstellung von Cannabis mit den legalen Drogen Alkohol und Nikotin

Kontakt:

www.legalisieren.at bzw. 0664/3402010