november 2001

Alfred Noll
leitartikel

Freie Radios – in der unfreien Welt

Von Adorno stammt der strenge Spruch: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Wir können daraus eine praxisrelevante Frage machen: Gibt es ein freies Radio in einer von Markt-, Kommerz- und Politikzwängen bestimmten Kulturlandschaft?

Man muss genauer hinschauen: So sehr sich der kulturelle Alltag und insbesondere die österreichische Medienlandschaft geprägt zeigt von Geld, (großer) Politik und allen Mitteln der Verführung, so sehr gibt es ein Bedürfnis nach etwas ganz anderem. Man soll das Publikum nicht unterschätzen. Es nimmt, was es kriegt. Einerseits. Es besteht aber (noch) ein Bedürfnis nach Einsicht, Aufklärung, Spannung und einem wie auch immer näher zu bestimmenden „guten“ Programm.

„Freie“ Radios wollen den Zwängen einer gänzlich kommerzialisierten Medienwelt entkommen. Wenn das Ganze nicht rasch in trauriger Bedeutungslosigkeit verkommen soll, wird es sich auf die Suche machen müssen nach den Interessen und Bedürfnissen potentieller Hörerinnen und Hörer. Das kann immer nur versuchsweise gelingen. Programm als Experiment darf daher nicht nur als „alternativer“ Ansatz missverstanden werden – es ist die Grundlage freier Radiogestaltung. Nur so kommt man dem auf die Schliche, was die Leute bewegt, was sie interessiert, was ihnen nahe ist.

Die große Chance besteht in lokaler Verbundenheit. Mehr als eine Chance ist das nicht. Die Erfahrungen mit den privaten Sendern in Italien zeigt das: Heute ist nur noch ein kleiner Rest übrig geblieben. Überall dort, wo es nicht gelungen ist, Identität zwischen Sender und Publikum herzustellen, bleibt nur mehr der Weg in den Kommerz.

Wenn man also die Suche nach dem Publikum ernst nimmt, dann muss man es zum Subjekt der Progammgestaltung machen. Wer den anderen stets nur anrichtet, was man selbst als gut und richtig empfindet, wird es nicht schaffen, die notwendige Identität herzustellen. Es ist alles andere als ausgemacht, dass das gelingt. Einrichtungen wie nicht-kommerzielle Lokalradios sind nicht nur eine demokratiepolitische Notwendigkeit, sie verkörpern aber auch eine anti-kommerzielle Kulturalität.

Und schließlich: Das Problem der Zukunft ist der Content. Wir sind längst von immer neuer Technik überfüttert. Nur wenn sich sinngefüllte Nutzungsformen ergeben, hat eine Technik auch die Chance, für Bürgerinnen und Bürger interessant zu sein. So gesehen ist freies Radio auch technologiepolitisch eine Art „Powerhouse“. Das phänomenale Wachstum des interaktiven Internets ermutigt dazu, den Versuch von Community Radios ständig neu zu wagen. Wir sollten die Möglichkeit schaffen, eine Vielzahl von Programmen in all ihrer Verschiedenheit empfangen zu können. Nur die Mischung aus öffentlichen, privaten, universitären, ethnischen und kommerziellen Programmen kann diese wünschenswerte Verschiedenheit befördern.

Der Autor Alfred J. Noll ist Rechtsanwalt in Wien

und Universitätsdozent für Öffentliches Recht und Rechtslehre