november 2001

Georg Wimmer
titel

Frischluft für Salzburg

Mit Verfolgung war zu rechnen, doch diesmal wurden alle Erwartungen übertroffen. Es geschah an einem Montagabend im Herbst. Die Studenten Wolfgang H. und Jimmy N. waren auf den Gaisberg gefahren, um eine halbstündige Sendung abzusetzen. Und freuten sich schon auf die von der Funküberwachung. Sie wussten, sie würden kommen. Sie würden sie anpeilen, vielleicht sogar aufspüren, festhalten und ihre Personalien aufnehmen. Doch so lange der Sender nicht gefunden wurde, konnten sie ihnen nichts anhaben. Tschüss und auf Wiederhören. Dann das anschwellende Rattern von Rotorblättern. Noch während H. und N. über die Waldlichtung hetzten, wurden sie von Suchscheinwerfern erfasst.

Als noch ein Beamter des Innenministeriums aus dem Hubschrauber sprang und mit dem Schrei „Halt oder ich schieße!“ seine Pistole in Anschlag brachte, war Salzburgs einziger Piratensender, das legendäre »Radio Bongo«, fürs Erste gestoppt. Auch die anderen, gut 20 Radio-Aktiven aus dem Umfeld des Institutes für Publizistik hatten es bald satt, im Sommer wie im Winter mit Autoradio und Kassettendeck, Sender und Antenne im Rucksack auf den Bergen rund um Salzburg herumzuhirschen.

Die Freiheit im Äther war aber längst nicht nur in Studentenkreisen ein Thema, sie beschäftigte auch die Gerichte. Klagen eingebracht hatten ein Linzer Kabelfernsehen, ein zweisprachiges Radio, das in Kärnten auf Sendung gehen wollte, sowie ein einfacher Bürger namens Jörg Haider. Weil die Regierung das Monopol um jeden Preis halten wollte, ging die Sache bis zum Europäischen Gerichtshof. Das Urteil des EuGH war eindeutig: Das österreichische Rundfunkmonopol verletze das in Artikel 10 der Europäischen Menschrechtskonvention verankerte Recht auf „Freiheit der Meinung und Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ...“. Veröffentlicht wurde der Spruch am 24. November 1993. Wolfgang H. stand just einen Tag später wegen „Besitz, Verwahrung und Inbetriebnahme einer illegalen Sendeanlage“ in Salzburg vor dem Richter. Und hatte leicht lachen. Brachte erst gar keinen Rechtsbeistand mit. Die Vorlage eines SN-Artikels, in dem über die Verurteilung der Republik berichtet wurde, reichte für einen Freispruch. Als Jahre später erstmals Radiofrequenzen öffentlich ausgeschrieben wurden, war der Ex-Pirat Wolfgang Hirner unter den Bewerbern. Diesmal für das Freie Radio Salzburg – Radiofabrik.

Freie Radios mit ihrem Anspruch auf Unabhängigkeit und offenen Zugang für Meinungen und Themen, die jenseits der Hauptstraße liegen, stellen mehr als nur einen netten Tupfer in der Medienlandschaft dar. Die Freien bilden neben den öffentlichrechtlichen und den privatkommerziellen Sendern die letzte Säule in einem dreiteiligen Rundfunksystem.

Elf Freie Radios gibt es derzeit in Österreich, darunter die Radiofabrik, die mit Juni 1997 regelmäßig on air ging. Vorerst nur in Form eines wöchentlichen Sendefensters beim Kommerzradio Arabella. Die Sendevereinbarung sah auch die freie Studiobenutzung vor, und diese Chance ließen sich „die Wahnsinnigen“ (Arabella-Jargon) nicht entgehen. Sie verhalfen nicht nur etablierten Kulturstätten wie dem Rockhouse, der ARGE oder dem Literaturhaus, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Sozialeinrichtungen wie dem Saftladen zu eigenen Radiosendungen, sondern auch losen Gruppierungen und ungezählten einzelnen Menschen.

Auf der Radiofabrik sendeten Arbeitsuchende, Arme, Ältere, Alleinerziehende, AusländerInnen, Blinde, Barkeeper, Einsilbige, Djs, Chronischkranke, Frauen, GewerkschafterInnen, Kinder und Jugendliche, Kulturschaffende, Kabarettisten, KünstlerInnen und Lesben,

Missbrauchte, Musikmachende, MigrantInnen, Schwule, Studierende, ZeitungsverkäuferInnen und Zivildiener, kurz: viele so genannte Randgruppen. Das Ziel der Radiofabrik und der neuen Gruppe um Wolfgang Hirner hieß: mehr öffentlichen Raum schaffen. Die fünf Stunden am Mittwochabend waren nie genug. In einem Baustellen-Container vor der ARGE Nonntal wurde ein funktionstüchtiges Sendestudio eingerichtet. Was noch fehlte, war die eigene Frequenz und die lag buchstäblich in der Luft - es war die Frequenz 107,5 MHz. Als sie endlich ausgeschrieben wurde, meldeten sich prompt fünf Bewerber.

Was nun? Die Rundfunkbehörde, um eine österreichische Lösung bemüht, rief zu Verhandlungen auf. Sollten sich nicht mindestens zwei Bewerber einig werden, so die Vorgabe, würde niemand die Frequenz erhalten. Nicht weniger ungewöhnlich war die Partnerschaft, die daraufhin zustande kam: Hier die gemeinnützige Radiofabrik - dort die mehrheitlich im Besitz der Salzburg AG stehende Objekt-Werbung, die mit dem Radio Geld scheffeln will.

Die Vereinbarung schaut so aus: Die Sendeanlage wird gemeinsam betrieben, die Redaktionen arbeiten aber völlig getrennt. Die Radiofabrik kann wochentags von 18.00 bis 5.00 früh auf Sendung gehen und erhält darüber hinaus das gesamte Wochenende. Die Objektwerbung, die angeblich ein Programm für die Fahrgäste in den Stadtbussen plant, erhält die Tagessendezeiten unter der Woche. Wer mit diesem Deal besser bedient ist? Die FabrikantInnen haben bisher einen langen Atem bewiesen. Allein mit ehrenamtlicher Tätigkeit bis hin zur Selbstausbeutung wird auf Dauer aber auch ein Freier Sender nicht zu betreiben sein. Ein Kommerzieller kann zwar nach Kräften um Werbung buhlen, die Luft auf dem Markt ist aber eher dünn geworden.

Nicht weniger als 14 deutschsprachige Sender sind in Salzburg zu empfangen, wobei sich besonders die österreichischen Radios nicht wirklich unterscheiden. Ob Welle 1, Anntenne Salzburg oder jetzt auch Krone-Hitradio – alle umschmeicheln die von der Werbewirtschaft forcierte Hörerschaft der 14- bis 49-Jährigen. Auch der ORF schielt, Programmauftrag hin oder her, stärker auf genau dieses Publikum. Fazit: Immer mehr von dem, was jenseits des vermuteten Durchschnittsgeschmacks dieser ominösen Zielgruppe liegt, fliegt aus den Programmen.

Österreich im Herbst 2001. Die Medienlandschaft bietet ein bizarres Bild. Beim (terrestrischen) Fernsehen darf dem ORF nach wie vor keine Konkurrenz gemacht werden. Auf dem Radiosektor ist zwar eine Liberalisierung eingetreten, die erhoffte Medienvielfalt blieb dennoch aus. Und das ist kein Zufall, kein Marktversagen, sondern schlicht eine Frage der Medienpolitik. Wirkungsvolle, kartellrechtliche Bestimmungen sind bei uns kein großes Thema. Im Gegenteil. Erst im Frühjahr wurde eine Novelle zum Privatradiogesetz verabschiedet, die den Zeitungsherausgebern die Beteiligung an den elektronischen Medien ausdrücklich erlaubt. Klingt harmlos, hat aber in einem Land, wo auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ein Konzern eine beispiellose Vormachtstellung genießt, nur einen weiteren Konzentrationsprozess in Gang gebracht, diesmal eben bei den elektronischen Medien. Die Mediaprint lässt keine Gelegenheit aus, um schwächelnde Privatradios aufzukaufen. In Salzburg ist sie bereits bei Welle 1 massiv eingestiegen, Radio Arabella wurde um kolportierte 20 Millionen Schilling ganz übernommen. Über kurz oder lang wird die Krone über ein bundesweites Sendenetz verfügen. Guten Morgen Österreich!

Und die Freien Radios? Sind auch nicht untätig. Sie basteln ebenfalls an einem Verbund. Der Austausch von Sendungen ist bereits an der Tagesordnung. Bei Radio Fro in Linz ist ein Online-Sendungsarchiv im Aufbau, auf das alle Freien zugreifen können. Auf internationalen Treffen in Wien oder Zürich werden neue Formen der Vernetzung diskutiert und darüber, wie Medienkompetenz am besten vermittelt werden kann. Ein echtes redaktionelles Gegengewicht zu den Mainstream-Medien geben die Freien momentan freilich noch nicht ab. Aber das ist nur ein Frage der Zeit. Wenn immer mehr Hörerinnen und Hörer allein wegen ihres Musikgeschmacks zu Randgruppen werden, werden immer öfter Leute auf die Idee kommen, dass sie ihr eigenes Programm gestalten könnten. Richtig gute Musik auflegen und mit der Stimme spielen. Nicht konsumieren, sondern produzieren. Radiomachen, so wie man/frau auch Sport betreibt. Einmal im Monat oder so. Dann kann Radio echt Spaß machen. Worauf warten wir eigentlich noch. Auf in den Äther!