september-oktober 2001

Micky Kaltenstein

Frisierte Störungen – Nippes als Objekt

Ulrike Lienbacher – Künstlerin und Präsidentin des Kunstvereines

Gezeichnete Figuren wenden sich vom Betrachter ab, fotografierte Körper en-den beim Hals. Gesichter sind Ulrike Lienbacher zu persönlich. „Sie bringen eine Komponente rein, die ich nicht brauche im Bild“, erklärt die Salzburger Künstlerin. Brüchige Striche aus bräunlicher Sepiatusche deuten die Körper nur an, aber die frisierten Hinterköpfe sind akribisch genau gezeichnet. Lange Zöpfe, voluminöse Haarrollen und nestähnliche Kränze. Manche Frisuren wirken wie Körperteile. Dass die androgyn dargestellten Körper fast immer als weiblich gesehen werden, stört Lienbacher. Sie vergleicht die präzise ausgearbeiteten Haare ihrer Zeichnungen mit nach außen getragenen Störungen. Gebändigt, geflochten, zurecht gesteckt. Damit sie den gesellschaftlichen Normen entsprechen. Und sein dürfen.

Eine ähnliche Disziplinierung des Körpers zeigt die Künstlerin in der Foto-Serie »Pin-Up-Übungen«. Frauen und Männer nehmen die bekannten Posen aus den 40er und 50er Jahren ein, in Alltagskleidung und so gut es eben gelingt. Nicht die Erotik der Pose ist Lienbacher dabei wichtig, sondern das Aufzeigen der gekünstelten Haltungen und »Verdrehtheiten«. Die Unmöglichkeit, den Ansprüchen zu genügen und ständig zu funktionieren. Ausgeführt hat sie die Ergebnisse in violett-getöntem Offsetdruck, „weil die Assoziation zu Plakaten sich aufdrängt“. Den Kontrapunkt zu den individuellen, nicht perfekten Körperdarstellungen der Zeichnungen und Fotografien bilden ihre Objekte. Sie kokettieren mit massenhaft gefertigten Industrieprodukten, greifen Körperformen auf und wiederholen sie makellos. Die Stückzahl beliebig und ständig verfügbar.

Inspirieren lässt sich die gebürtige Oberndorferin vom Alltagsleben, Gebrauchsgegenständen und ein wenig von ihren Kindheitserinnerungen. Das Muranoglas im elterlichen Wohnzimmer als Garantie für eine ungestörte Welt. In ähnlich bunten Farben kindlichen Haben-müssens leuchtet die Objektserie »Nippes«. Die Formen erinnern an Geleebonbons, an die gezeichneten Frisuren und an die Körperteile. Ästhetik in Hochglanz. Die drei Bereiche ihres Schaffens, Zeichnung, Objekt und Fotografie, gehören zusammen. Zitieren sich gegenseitig, ergänzen sich, liefern manchmal eine leichte Ironie. Und stehen immer miteinander in Bezug, bei jeder Ausstellung anders.

Für die Konsequenz ihrer Arbeiten hat Ulrike Lienbacher gerade zwei Preise bekommen, den »Großen Kunstpreis des Landes Salzburg« und den »förde-rungspreis: bildende kunst«. Die beiden Auszeichnungen bedeuten der 38-Jährigen vor allem eines: Geld. Denn erst seit 1994 gelingt es Lienbacher, von ihrer künstlerischen Arbeit zu leben. Zuvor unterrichtete die Mozarteumsabsolventin »Bildnerische Erziehung«. Die Parallelexistenz hat nun ein Ende und „gottseidank hat sich seither immer wieder etwas ergeben“. Obwohl der Kunstmarkt in Österreich ein sehr kleiner ist. Auch die mit den Preisen verbundene öffentliche Anerkennung ist ihr kulturpolitisch wichtig, denn „seit dem Regierungswechsel hat sich das kunstfeindliche Klima verstärkt“, ist Lienbacher überzeugt. Seit Jänner ist sie Präsidentin des »Salzburger Kunstverein«. Eine Aufgabe, die zwar einiges an Bürokratie mit sich bringt, es aber ermöglicht, den eigenen Standpunkt zu zeigen und öffentlich Stellung zu nehmen: „Wenn es um Kulturpolitik geht, fragt man halt eher die Präsidentin, als die Künstlerin“.

Weil Salzburg konservativ ist und klein, hat Ulrike Lienbacher einen zweiten Wohnsitz in Wien. Die größere Offenheit der Hauptstadt braucht sie als Gegenpol zur sicheren Integration in Salzburg. So wie sie ihren individuellen Körper-zeichnungen die industrielle Perfektion ihrer Objekte gegenüberstellt. Alles greift ineinander. Wenn auch nicht immer auf den ersten Blick.