september-oktober 2001

Gerald Raunig

Masochismus und Politisierung

Viele neue Stacheln für das dritte Jahrzehnt des Kulturgeländes

Alles Gute also: Um mich nicht zuviel mit repräsentativen Gratulationsritualen aufzuhalten, gleich zur Frage, was an den Strategien des Kulturgeländes meiner Meinung nach so brauchbar war, dass es dienlich sein könnte, auch die nächsten zwanzig Jahre erfolgreich Selbstausbeutung betreiben zu dürfen:

Da steht an erster Stelle die politische Kraft, nicht zu einem identitaristischen Ghetto für Althippies, Altgrufties, Altcyberkids zu werden, sich selbst die geeigneten Stachel der organisatorischen wie inhaltlichen Veränderung einzuziehen, notfalls genussvoll-masochistisch in den Hintern zu treten. Herausragendes Beispiel für einen derartigen gelungenen Wandel ist die Entwicklung des Kulturgeländes vom traditionellen soziokulturellen Zentrum zu einem dezentralen und dennoch nicht politisch beliebigen Kultur- und Medienzentrum: Im Unterschied z.B. zum großen Bruder, dem Wiener WUK, das sich zur Zeit ebenfalls auf die zwanzigjährigen Jubiläumsfeierlichkeiten vorbereitet, das dem Kulturgelände immer im Wege stand, sich »größtes soziokultuelles Zentrum in Österreich« nennen zu können, das aber in den letzten Jahren den gegenteiligen Weg ging, also medienpolitisch abbaute, hat das Kulturgelände als soziale wie räumliche Verortung der wichtigsten kulturpolitischen Monatszeitschrift Österreichs, der kleinen aber feinen freien Radiofabrik und der hippen Netzkulturinitiative »subnet« gehörig dafür gesorgt, sich selbst, aber vor allem die Salzburger Medienlandschaft auf Trab zu halten. Damit wurde auch eindrucksvoll bewiesen, dass die Gründungen der frühen 80er Jahre nicht alle den gebückten Gang durch oder in die Institutionen antreten mussten: weder die Subjekte, noch die Strukturen, die zwar in gewisser Weise institutionalisiert, aber keineswegs erstarrt sind.

Was allerdings mehr oder weniger erstarrt ist, ist die reflexhafte Anwurfpolitik von FP und Krone, die in Ermangelung von auch dem minimalsten Interesse und Einblick in das, was sich da außerhalb ihrer Jägerleinen- und Festspielwelt abspielt, auch bei wesentlich dezentraleren Widerstandsaktionen immer wieder Ursprung und Zentrale im Nonntal wähnt. Das hat, bei aller Paranoia, auch seine Stringenz. Strukturen wie das Kulturgelände sind als Verknüpfungspunkte der spezifischen Kompetenzen verschiedener Generationen und Traditionslinien von Widerstand, politischem Aktivismus und Kulturarbeit, als Fluchtlinien aus der zunehmenden Kannibalisierung im kontrollgesellschaftlich integierten System, weniger vielleicht Zentralen als Basisstationen und Laboratorien einer effektiven Freien Opposition. Nahezu alltäglich als kontingenter Treffpunkt hoffnungsfroher umstürzlerischer Subjekte, manchmal auch ganz handfest als klassische Veranstalterin in der gewohnten Grauzone zwischen Kultur und Politik: Bevor irgendwo anders in Österreich sich größerer Widerstand gegen die graußige Vorstellung einer ÖVP-FPÖ-Koalition regte, bevor sich in Wien das kulturelle Feld mit Plattformen wie »gettoattack«, »Performing Resistance« oder »volkstanz.net« vernetzte, bevor die Demokratische Offensive zur ersten Kundgebung aufrief, war im Kulturgelände nicht einmal ein Monat nach den Nationalratswahlen im Oktober 1999 die Bärengaudi am Programm, als allererste Großveranstaltung gegen eine »Koalition mit dem Rassismus«. Gewiss, die späteren Entwicklungen konnten dadurch nicht verhindert werden, es gab aber ein erstes Anzeichen der neuen Transversalität, die so manchen linken Schrebergarten – hoffentlich unumkehrbar – nach vielen Seiten öffnete: mit so verschiedenartigen Entwicklungen wie den Wiener Donnerstagsdemos, den Kärntner Widerstandstagen oder der internationalen »VolxTheaterKarawane«. Wenn diese neuen Phänomene des kulturellen Widerstands auch eher nomadischer Natur sind, brauchen sie auch Orte; weniger Orte der Identifikation als Orte der Vernetzung. Das scheint mir dann auch die exemplarische Funktion einer Kulturinstitution, die nie nur die Blümchen im Garten der Kulturalisierungsfalle goss, sondern auch in ihrem dritten Jahrzehnt noch die Politisierung des Ästhetischen betreiben möge.