sommer 2001

gelesen

Sommerbücher

John Barth

Der Tabakhändler

Rororo

Das Buch hat Backsteinformat, und ist eigentlich immer noch ein Geheimtip. Von John Barth liegt erst ein Buch in deutscher Übersetzung vor, wer dieses allerdings gelesen hat, bekommt Lust auf mehr. »Der Tabakhändler« lässt den Leser teilhaben am Leben des Ebenezer Cooke, »Poet und Jungfrau« von eigenen Gnaden.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verlässt er seine von zärtlicher, aber unkeuscher Liebe zu ihm erfüllte Zwillingsschwester, um sein väterliches Erbe in der Kronkolonie Maryland anzutreten, eine Tabakplantage.

Bis der wackere Jüngling allerdings sein Ziel erreicht, kann der Leser teilhaben an Abenteuern, die an Skurrilität schwer zu übertreffen sein werden – und dies alles mit überragendem Sprachwitz und parodistischer Genialität.

Es fehlt nichts, was diesen einfältigen jungen Mann – „seine Strebsamkeit war größer als sein Talent, dieses widerum größer als seine Weltklugkeit“ in Schwierigkeiten oder zum Bruch seines Gelöbnisses (ewige Jungfernschaft) bringen würde. Abgefeimte Diener, üble Piraten, hinterhältige Mörder, Opiumhändler, bedürftige Schweinemägde und Wanderhuren.

Wird Ebenezer all diesen Versuchungen standhalten, und was erwartet ihn am Ende seiner Reise? Tömml

Andy Kaltenbrunner (Hg.)

Beruf ohne (Aus)bildung

Anleitungen zum Journalismus

Czernin-Verlag, Wien 2001

Stimmt schon, es ist – wie schon aus dem Titel ersichtlich – ein Buch von JournalistInnen für JournalistInnen und solche, die es vielleicht werden wollen.

Eigentlich ist »Beruf ohne (Aus)Bildung« ein Bericht verschiedenster AutorInnen – TheoretikerInnen, PraktikerInnen aber auch AbsolventInnen – über den »Redaktionslehrgang Magazinjournalismus«, den der trend/profil-Verlag in den vergangenen Jahren veranstaltet hat. Schon die prominente AutorInnenliste zeigt freilich, dass das vermeintliche Sachbuch mehr ist als nur ein Werk für eine schmale Zielgruppe. Es schreiben neben anderen: Andy Kaltenbrunner (profil), Armin Thurnherr (falter), Thomas A. Bauer (Kommunikationswissenschafter), Alfred J. Noll (Jurist, Autor), Herbert Lackner (profil) und Harald Sicheritz (Regisseur). Wann hat man/frau denn schon Gelegenheit, JournalistInnen jenseits der Tresengespräche nach Redaktionsschluß ernsthaft über ihren Beruf – der Zugang über die in Österreich nicht vorhandene JournalistInnenausbildung ist ein besonders guter – reflektieren zu hören beziehungsweise zu lesen. Die Themen liegen auf der Hand: Medienkonzentration versus individuelle Freiheit, Beruf oder Berufung, Ethik und Moral, Sprache und der Umgang damit... Wie wichtig das Thema ist, hat uns der FPÖ-Entwurf zur Strafverfolgung unbequemer RedakteurInnen jüngst bewiesen. Denn Pressefreiheit ist in Österreich nicht mehr selbstverständlich, sie wird erst wieder erkämpft werden müssen.

Tom Neuhold

Slow Food

Osterie d’Italia

Italiens schönste Gasthäuser

Edition Spangenberg bei Droemer, München 2001

Das mit der Urlaubslektüre ist so eine Sache: Lektüre, für die man ein Fremdwörterbuch braucht, oder doch lieber Jerry Cotton für Ballermann und Söhne? Egal, in Wahrheit gibt es ohnehin nur eine wirkliche Urlaubslektüre: Reiseführer!

Die mehr oder weniger umfassenden Helferlein führen einen mehr oder weniger qualifiziert durch die Wirrnisse fremder Länder. Besonders empfehlenswert jene aus der Reihe »Lonely Planet«: Literarisch zwar nicht besonders wertvoll, dafür aber um so besser informiert – ein »travel survival kit« von Pakistan bis Chile.

Ein echter Leckerbissen unter den Reiseführern ist der von der internationalen Langsamesserbewegung Slow Food herausgegebene Beislführer für Italien. Über 1.600 kulinarische Adressen zwischen Brenner und Sizilien samt inhaltlichem Glossar machen den regelmäßig aktualisierten, über 800 Seiten starken Band zum unentbehrlichen Leitfaden für GeniesserInnen und zur Bibel mit Kultstatus der Slow Food Bewegung. Buon appetito!

Tom Neuhold

Giacomo Fiori

Der Käse Italiens

Eine Reise in Bildern durch die Welt des typischen DOC- und DOP-Käse

Eos Verlag

Giacomo Fiori ist Schriftsteller und Journalist, Onkel Carlo ein Vorkämpfer und Verteidiger typischer und ursprünglicher Käsesorten. Gemeinsam bringen die beiden ein Buch heraus, das vor allem Neugierde wecken soll. Der Fotoband, der ca. 200 der wichtigsten Käsesorten Italiens abbildet und beschreibt, schafft das auf Anhieb. Alphabetisch geordnet werden die Geheimnisse der einzelnen Sorten beschrieben, wo sie zu finden sind, welche Geschichten rund um ihre Herstellung ranken. Beispiele gefällig: beim piemontesischen Toma del Maccagno wird die Rinde mit Safran gefärbt, beim Toma Valle Elbo wird der Käsebruch mit beigefügten Kräutern aromatisiert. Ricotta wird haltbar gemacht: durch Räuchern (z.B. Ricotta Affumicata Sarda/Sardinien), Trocknen (Ricotta Secca/Sizilien) oder Backen (Ricotta Infornata/ Kalabrien und Sizilien). Daneben kommen auch Geschichte und Kapitel über Produktion und andere Aspekte des Käsehandwerks nicht zu kurz.

Für Gourmets, Italienreisende oder Käseliebhaber als Nachschlagwerk im Urlaub, Reiseplaner oder Appetitanreger eigentlich unverzichtbar.

Gerald Gröchenig

Jim DeRogatis

Let It Blurt. The Life & Times Of Lester Bangs, America's Greatest Rock Critic

Broadway Books 2000

Durch Cameron Crowes 70er-Rückblick »Almost Famous« ist auch Lester Bangs wieder im Gespräch.. Bangs war Zeitlebens gleichermaßen legendär wie gefürchtet. Nachdem er schon als Teenie mit Jazz (Davis, Coltrane) und den Beatniks (Burroughs) in Kontakt gekommen war, startete er seine Karriere 1968 mit einem Verriss des MC5-Debüts »Kick Out The Jams« im »Rolling Stone«. Später wünschte er dem Songwriter James Taylor den Tod an den Hals und pries im Gegenzug seine ewigen Heroen Velvet Underground sowie Iggy & The Stooges. Ob es ohne Bangs und seinem obsessiven Mix aus Gonzo-Journalismus und »Fuck You«-Intellektualität Punk jemals gegeben hätte ist eine blöde Frage. Immerhin wurde das hippiehassende »Lestermaul« schon 1969 nach zwei Tagen aus dem Haus des »Rolling Stone«-Schreibers Greil Marcus geworfen, weil Bangs den ganzen Tag soff und dazu Velvet Undergounds »White Light/White Heat« in voller Laustärke abspielte. Aber Bangs hat nicht nur als einer der ersten über die Ramones und die Sex Pistols geschrieben (und hatte zusammen mit Joey Ramones Bruder eine Band). Er berichtete auch als erster über den Dub-Pionier Lee »Scratch« Perry und versorgte Kraftwerk während ihrer 1978er US-Tour mit Suicide-Platten. Daneben konsumierte »Lesterarsch« Bangs fast alles was es an legalen wie illegalen Drogen gab und starb 1982 an einer Medikamentenüberdosis. Rock'n'Roll-Pflichtlektüre!

Didi Neidhart