sommer 2001

Doc Holliday
zu gast

Die revolutionären Massen?

Der 1. Mai ist für die meisten Menschen ein schöner Tag. Jener rare Typus, der noch mit einem politischen Bewusstsein ausgestattet ist, gedenkt der Marxisten und Anarchisten, die im Laufe der Geschichte die potentielle Macht der Entrechteten an diesem Datum demonstriert haben. Der Rest freut sich über einen Feiertag. Den die Lohnabhängigen im Übrigen Adolf Hitler zu „verdanken“ haben. Egal, Hauptsache öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel sind rot-weiß-rot beflaggt. Internationale Solidarität ist längst nationaler Engstirnigkeit gewichen.

Schön war er dann heuer wirklich dieser 1. Mai: sengende Hitze mit 30 Grad. Reicht dies als Erklärung, um die Abwesenheit vieler, die noch letztes Jahr unter dem Eindruck der Wende dem Aufruf der Salzburger Plattform gegen Rassismus und Sozialabbau gefolgt waren, zu erklären? Anstatt die Zahl von ca. 800 Personen von 2000 zu übertreffen - gute Gründe gegen die Regierung zu demonstrieren gibt es eher mehr denn weniger - versammelte sich etwa ein Viertel, also 200 Wanderwillige um linke Gesinnung und Flagge zu zeigen. (Letzteres wie gewohnt eine Domäne der KPÖ und ihrer Unterorganisationen).

Die Veranstalter gehen mit der Zeit. Also heißt der Umzug nicht mehr Demo, sondern Parade. Das hat nichts mit den martialischen Maiparaden auf dem Roten Platz zu tun, als Moskau noch die Hauptstadt der UDSSR war, sondern mit den Lifestyle- und Partyevents der Love- und ähnlicher Street-Parades. Ein DJ auf einem Kleinlaster macht den Sound zum Umzug. Um es einmal wenigstens richtig krachen zu lassen, müsste die Route durch ein ordentliches Tunnel führen. Tut sie natürlich nicht. Stattdessen zieht die Prozession an der AK vorbei, wo die sozialistischen Gewerkschafter ihren Teil zur politischen Bildung beitragen: In der urösterreichischen Form des Hendlbratens, dem streng riechenden Äquivalent zur rot-weiß-roten Fahne, und mit Hilfe einer Hüpfburg - für alle, die mal so richtig in die Luft gehen wollen und dies trotz der herrschenden Politik noch immer nicht können. Formidabel auch der Zwischenerfolg - es sollte der Höhepunkt des Tages bleiben - als DJ und Sprechchöre Bürgermeister Schaden zwingen seine Rede vorübergehend zu unterbrechen. Trotz der zaghaften „Hoch-die-internationale-Solidarität“-Rufe bleiben Verbrüderungen zwischen den statisch-kulinarischen und mobilen FreizeitaktivistInnen aus. Der zahlreich anwesende Stapo-Begleitschutz observiert dennoch alles mit strengem Blick. Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.

Das Motto „Fit mach mit“ gilt von nun an nicht nur am 26. Oktober. Auch Berufskritisosos brauchen einmal etwas Auslauf. Als sich im ARGE-Gastgarten dann alles in Wohlgefallen auflöst, herrscht rundum Erleichterung. Die Masse bleibt weiter träge und die Revolution ist wegen Sonnenstichgefahr vertagt. Gute Nacht Salzburg!