sommer 2001

Didi Neidhart
im gespräch

VER-RÜCKTE WELTEN

Die beiden »Zeitfluss«-Macher Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin im kunstfehler-Gespräch.

kf: Heuer findet das »Zeitfluss«-Festival zum fünften Mal seit 1993 statt. Bezüglich der Finanzierung und der weiteren Zukunft des Festivals sah es in letzter Zeit aber nicht immer rosig aus.

Zierhofer-Kin: Über das Land können wir nicht klagen. In der Stadt haben wir hingegen einen Bürgermeister, der zwar viel verspricht, aber durch einen absolut unflexiblen Kulturausschuss wird das meiste zunichte gemacht. Der Bund besteht nur aus bürokratischen Hürden.

Hinterhäuser: Es geht ja nicht nur uns so. Trotz Anerkennungen aus dem In- und Ausland vergattert einem die Politik zu einem ewigen Bittstellertum. Dabei geht es nicht einmal darum, dass hier kein Funken Verständnis aufgebracht wird. Viel schlimmer ist, dass hier Beamte Steuergelder so verwalten, als wäre es ihr eigenes Geld. Diese Politik auf niedrigstem Provinz-Niveau ist eine lächerliche und gleichzeitig entwürdigende Situation.

Zierhofer-Kin: Jedenfalls präsentieren wir heuer mit dem bisher geringsten Budget das umfangreichste Programm. Wobei Geld und Zukunft zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

kf: Welche Rolle spielen dabei die Salzburger Festspiele unter der neuen Leitung?

Zierhofer-Kin: Eine Zukunft in der bisherigen Form hängt von einer weiteren Zusammenarbeit mit den Festspielen ab. Wir sind ja keine Institution und haben nicht einmal ein eigenes Gebäude. Es ging uns immer darum, bestimmte Dinge zu ermöglichen, indem wir vorhandene Strukturen benützten und dadurch auch die Schaffung neuer Strukturen ermöglichten.

Hinterhäuser: Nicht institutionell zu sein hat seine Vorteile. Die Freiräume sind größer und man kann flexibler agieren. Ideen erschöpfen sich auch einmal. Wir möchten schon die Fähigkeit haben zu sagen, okay, das war's. Von der neuen Leitung der Festspiele ist bis jetzt noch kein einziges konstruktives Signal oder irgendeine Interessensbekundung gekommen. Das heißt für uns, dass wir das Festival, so wie es bisher war, wahrscheinlich nicht weiterführen werden.

Zierhofer-Kin: Wir haben das Festival-Konzept damals gemeinsam mit Hans Landesmann entwickelt. Dabei ging es auch um eine notwendige Verpflichtung seitens der Festspiele Sachen zu präsentieren, die jenseits des 19. Jahrhunderts angesiedelt sind. Aber wenn die Festspiele jetzt ein bis zwei Gänge retour schalten, ist dieses Modell nicht mehr lebensfähig. Wir lassen uns weder als Feigenblättchen einkaufen noch haben wir Lust auf ewig die bösen Buben abzugeben.

Hinterhäuser: Zudem gibt es auch andere Partner und andere Städte. Niemand sagt, dass »Zeitfluss« nur in Salzburg stattfinden kann und muss.

kf: Was erwartet uns heuer bei „Zeitfluss“?

Zierhofer-Kin: Eigentlich führen wir das »Theater der Klänge« von 1999 weiter. Orientiert haben wir uns dabei hauptsächlich an Antonin Artaud. Auch wenn es nur eine konkrete Veranstaltung (28. Juli, Anm.) zu ihm gibt, zieht sich ein Begriff wie „Wahnsinn“, der ja eng mit seinem Denken verknüpft ist, wie ein roter Faden durch das gesamte Festival. Beim japanischen Stummfilm »A Page Of Madness«, der Multimedia-Performance »Magick Mountain Madness« sowie bei David Krakauer's Klezmer Madness wird das auch ganz konkret angesprochen.

Hinterhäuser: Es geht aber auch um eine Gesellschaft, die durch ihre Definition von »Wahnsinn« Menschen wie Nietzsche, Van Gogh oder Artaud ins gesellschaftliche Abseits drängte. Auf der anderen Seite konfrontiert uns der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, der sich und seine Arbeit für ganz normal hielt, mit einer perversen kleinbürgerlichen Idylle inmitten eines Ortes absoluten Wahnsinns.

Zierhofer-Kin: Wir sehen Artaud nicht ausschließlich als Theaterutopisten. Wichtiger ist uns, dass er das abendländische Denken total und radikal in Frage stellte. Dieses von ihm postulierte „andere Denken“ versteht sich aber auch als fundamentale Kritik an der Gesellschaft. Es richtet sich gleichermaßen gegen den Akademismus wie gegen das Primat der Rationalität. Demgegenüber postulierte Artaud eine Art neuer Spiritualität, die jedoch auch politisch zu verstehen ist.

Dabei fangen wir eher mit der harten politischen Schiene an. Dazu gehört eine Podiumsdiskussion zum Thema „Nach Auschwitz – der Genozid als Möglichkeit“ sowie ein Rezitations-Abend mit Erwin Steinhauer, der aus den Erinnerungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß lesen wird. Dann kommt als Drehpunkt Luigi Nono. Auch weil er für neue Arten und Dimensionen des Hörens und der Klangentwicklung steht. Was sich wiederum mit der Philosophie der Sufis trifft, denen wir heuer eine ganze Nacht widmen. Auch hier geht es um ein radikal anderes und neues Denken.

Sufis werden von der islamischen Orthodoxie als Ketzer betrachtet und sind immer noch Repressionen ausgesetzt. Dabei haben Sufi-Mystiker wie Shah Abdul Latif, vor dessen Schrein die Musiker, die zu uns kommen, beinahe jede Nacht spielen, schon vor über 250 Jahren Bücher über neues und anderes Hören geschrieben und auch neue Instrumente entwickelt. Das esoterische Denken der Sufis sowie deren Konzepte von »Verrücktheit« sind aber auch Bestandteile der Philosophie des WordSound-Labels aus Brooklyn, dass mit der All-Star-Band Dubadelic im Rahmen der Performance »Magick Mountain Madness« präsentiert wird. Hier treffen alle möglichen avancierten Diskurse zwischen Spiritualität, Afronautik und wahnwitzigen Geheimwissenschaften in einem musikalischen Spannungsfeld aus militantem HipHop, Dub und Funk zusammen.

Das Projekt mit Wolfgang Mitterer, Patrick Pulsinger, Erdem Tunakan, Christian Fennesz u.a. bricht das dann wieder auf. Und im letzten Teil geht es dann um pure dionysische Lebensfreude. Die innere Dramaturgie des Festivals ist auf das Mitverfolgen all dieser Wegstrecken hin ausgerichtet.

kf: Als eher ungewöhnlicher Veranstaltungsort wurde diesmal ein Zirkuszelt gewählt, das im Salzburger Volksgarten aufgestellt werden wird. Wie kam es dazu?

Zierhofer-Kin: Die Idee mit dem Zelt korrespondiert auch wieder mit Atraud. Zusammen mit einem Freund, der einen Winterzirkus hatte, entwickelte er die Idee zu einer »Intellektuellen Music Hall«. Für ihn war die populäre Kultur vollgestopft mit spannenden Elementen, die es nur zu entdecken galt. Also suchte er sich einen populären Ort aus, um ihn mit anderen Inhalten zu füllen. Wobei es natürlich auch um die Überwindung der Trennung zwischen Kunst und Leben ging.

Hinterhäuser: Das Zelt ist auch ein Raum, der eine Identität für das Festival herstellt. Wir wollten ganz bewusst nur einen Ort inklusive Bar und Restaurant als Spielstätte haben, um den herum sich das ganze Festival auch jenseits der einzelnen Aufführungen entwickeln kann. Ein Zelt hat zudem etwas Nomadisches und weist auf ein unwiderrufliches Verschwinden hin. Auch der Bus auf dem Cover des Programmheftes verweist auf diese Aspekte des Wegfahrens. Aber auch des Wieder-Zurück-Kommens. Soviel auch abschließend zur Frage nach unserer Zukunft.

kf: Danke für das Gespräch.

Unsere »Zeitfluss«-Tipps:

30. Juli, 20.00 Uhr:

Meira Asher »Mum's The Word«

3. August, 20.00 Uhr:

Sufi Nacht - Die Fakire vom Schrein des Shah Abdul Latif

4. August, 20.00 Uhr:

»Magick Mountain Madness«

feat. Dubadelic (WordSound/NY)

7. August, 20.00 Uhr:

Nader Mashayekhi, Hossein Alzadeh

8. August, 20.00 Uhr:

Wolfgang Mitterer: Radio Fraktal. Beat Music. Chill Out (feat. Puslinger, Tunakan, Fennesz u.a.)

10. August, 20.00 Uhr:

From Scratch – Pacific Plate

12. August, 20.00 Uhr:

Abschlussfest mit David Krakauer's Klezmer Madness & Fanfare Cicocarlia

Weitere Informationen:

Zeitfluss Festival, Festspielhaus, Hofstallgasse 1, A-5020 Salzburg, Tel.: 0662/8045-475, Fax: DW 473,

E-Mail: office@zeitfluss.com,

Web: www.zeitfluss.com